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Routes to the Roots

Man kann ja lange darüber nachdenken, wer man ist und warum man so ist wie man ist. Das Ergebnis ist selten befriedigend und dennoch lässt einen das Ganze nicht los. Und je älter man wird, desto mehr beschäftigt einen die Frage, zumindest mir geht es so. Vielleicht liegt es daran, dass die Zeit knapper wird. Vielleicht liegt es daran, dass man jetzt mehr  Zeit findet, sich wichtiger zu nehmen. Möglicherweise aber liegt die Antwort dazwischen, wer weiß das schon.

In den USA läuft aktuell ein Spot im Fernsehen, der dafür wirbt, sich die DNA auf die Vorfahren hin untersuchen zu lassen. Für 99 Dollar erfährt man, wie hoch etwa der deutsche oder irische oder der Sonstwas-Anteil ist. Keine Ahnung, ob das wirklich funktioniert oder wie seriös das ist. Der Erfolg aber ist immens. Zu Tausenden bestellen sich die Leute den "Official-Ancestry-Test". Ein Land geschlossen auf der Suche nach der alles bestimmenden Antwort. Wer bist du? Wo kommst du her?  
Es gehe darum, sich selbst zu finden, sagen die Initiatoren. Es gehe darum, die Erinnerung wieder zu finden. 

Dass das Thema die Menschen umtreibt, kann man ganz gut auf Ellis Island sehen, dem Ort vor New York also, auf dem Hunderttausende von Auswanderer strandeten, bevor sie ihren Fuß aufs Festland setzen durften. Und obwohl das Ganze ein Museum ist und die Materie eher trocken, scheint sich niemand daran zu stören. In langen Reihen stehen die Besucher vor Chroniken und Zeittafeln, sie stehen vor Fotos und Aufzeichnungen von Augenzeugen, und während sie warten, erzählen sie sich gegenseitig Geschichten. Wie die Groß- oder Urgroßeltern damals mit dem Schiff gekommen waren, mit nicht mehr im Gepäck als etwas Kleingeld und mit nichts weniger als einer großen Hoffnung. 

In der Ausstellung gibt es auch eine vielleicht 20 minütige Dokumentation zu sehen über die Geschichte von Ellis Island. Sie zeigt, was die Menschen damals aushalten mussten, mit welchen Plänen sie kamen und wie sich für viele diese Pläne mit der Ankunft gleich wieder zerschlugen, weil sie  zurück geschickt wurden, weil sie die Bedingungen nicht erfüllten, weil sie krank waren. Weil, weil, weil. Andere dagegen hatten Glück. Und diese anderen machten Amerika zu dem, was es heute ist, nur, das haben manche vergessen.

Der Film ist eine Zeitreise in die Geschichte vieler Familien. Er ist eine große Erinnerung, so groß, dass am Ende Leute weinen oder klatschen. Routes to the Roots.

 

 

Ellis Island

Auch wenn meine Zeit in New York wegen des großen Hin- und Hers bei der Ankunft knapp bemessen war, hatte ich das dringende Gefühl, nach Ellis Island zu müssen. Und ich hatte das Gefühl, die Freiheitsstatue wenigstens einmal im Leben aus der Nähe sehen zu wollen, ohne schien mir der Auftakt nicht vollständig. Was also ist über Ellis Island zu sagen? In Stichworten: Zehn Hektar große Insel auf halbem Weg zwischen Manhattan und Freiheitsstatue. Von 1892 bis 1954 für 12 Millionen Immigranten erste Station in der neuen Welt. Dramatische Bedingungen für die Einreisenden über Tage, Wochen, Monate, so lange, bis sie von der Einwanderungsbehörde abgefertigt wurden. Familien getrennt. Männer und Frauen getrennt. Kinder und Mütter getrennt. Wie schlecht muss es einem gehen, sich auf solch einen Weg zu machen, solche Strapazen auf sich zu nehmen, das letzte Geld zusammen zu kratzen, alles auf eine Karte zu setzen? Kommt einem gerade irgendwie bekannt vor. 

40 Prozent aller amerikanischen Staatsbürger sollen Familien entstammen, die über Ellis Island einreisten. 40 Prozent. Allein zwischen 1900 und 1924 waren es durchschnittlich 5000 Menschen am Tag. Und während sie damals eher noch durchgewunken wurden, weil man sie als Arbeitskräfte benötigte, machten die Behörden in späteren Jahren die Einreise so schwer wie möglich.

Ellis Island stand nach Schließung 30 Jahre lange leer, 1990 wurde es als Museum der Öffentlichkeit übergeben.    

Der Historiker

Wer mehr über Ellis Island und die Einwanderer wissen möchte, muss mit Barry Moreno reden. Moreno ist Experte auf dem Gebiet, er hat etliche Bücher über das Thema geschrieben, etwa "The Statue of Liberty Encyclopedia and Italian Americans", aktuell arbeitet der Historiker an der "Encyclopedia of Ellis Island". Er selbst dürfte eines der schönsten Büros des Landes besitzen; sein Schreibtisch steht mitten im Herzen von Ellis Island - unter einer Glaskuppel und umsäumt von alten Büchern. Wenn er erzählt, holt er kaum Luft zum Atmen, es ist, als stünden seine Protagonisten tatsächlich im Raum. Er erzählt von der alten Frau, die ihm auf dem Klavier alte deutsche Walzer näher brachte, erzählt von alten deutschen Liedern, erzählt von der deutschen Firma, deren sehnlichster Wunsch es war zu wissen, wie hoch ihr Anteil am Bau der Freiheitsstaue ist. Moreno konnte helfen. Er fand heraus, dass das Unternehmen immerhin den Zement dafür lieferte. Und Moreno räumt im Gespräch mit der Legende auf, dass Ellis Island ein Ort des freundlichen Willkommens gewesen sei. "Ellis Island diente dem alleinigen Zweck, die Menschen von ihrer Einreise abzuhalten." Jahrzehntelang versuchten deswegen die Menschen, ihre Geschichte zu verdrängen, die Beschäftigung damit erfährt erst seit jüngster Zeit große Aufmerksamkeit. Von Moreno erfährt man auch, dass im Jahr 1880 allein drei Millionen Deutsche nach Amerika auswanderten, sie machten den größten Anteil der Aussiedler im 19. Jahrhundert aus. Es gibt also nichts, was er nicht über die Hintergründe weiß, man kann sich stundenlang mit ihm unterhalten. Am Ende legt er einem ein Büchlein in die Hand: "Mit 100 Mark nach Amerika" von Aram, verlegt im Jahr 1899. Aram ist Journalist gewesen, für Recherchezwecke reiste er im Zwischendeck eines Auswandererschiffs nach Amerika. In seinem Buch beschreibt er die Erlebnisse; er war, wenn man so will, ein früher Günter Walraff. 

 

In eigener Sache

So sehr ich es mir gerade auch zu Ost-Zeiten gewünscht hätte, in unserer Familie aber gab es weder Angehörige in Westdeutschland noch in Westberlin, und in Amerika gab es sie schon gar nicht. Andere waren da besser aufgestellt, bei uns war nix zu holen. Meine Großeltern kamen so sehr aus dem Osten wie man nur kommen kann. Mit dem Fall der Mauer verschwand dann aber die Dringlichkeit oder der Wunsch nach Westverwandtschaft, Schokolade und Jeans konnten wir uns jetzt selbst kaufen. Erst mit dem Siedler-Projekt taucht die Idee auf, mal zu gucken, ob es da wirklich keine Verbindung gibt. Das gute an Facebook und Konsorten ist ja, dass die Welt auf Erbsengröße zusammenschrumpft. Das schlechte daran (neben meinetwegen vieler anderer Dinge); die Leute  trauen sich selbst nicht mehr über den Weg. Jedenfalls tauchte der Name Hahnfeldt tatsächlich an der einen oder anderen Stelle auf,  meine Anfragen aber blieben weitgehend unbeantwortet. Was ich aber in Erfahrung bringen konnte, ist folgendes:  Hahnfeldts gibt es in den USA in Florida (4). Arizona (2). Tennessee (2). Illinois (2). Massachusetts (1). California (1). Pennsylvania (1) - und Wisconsin (3). Und in Wisconsin lebt tatsächlich jemand, der davon überzeugt ist, dass wir Cousin und Cousine sind. . . Mal sehen. 

Tipp

  • Die Zeit in New York ist für alle Besucher knapp. Dennoch empfiehlt sich ein Besuch auf Ellis Island. Wer von New Jersey anreist, spart sich lange Wartezeiten. Ich habe für diesen Fall das erste Mal Uber ausprobiert, funktioniert hervorragend. Die Fahrer sind Minuten später am verabredeten Ort; bezahlt wird via App.
  • Ellis Island Immigration Museum: www.libertyellisfoundation.org. Unter www.statuecruises.com kann man Fährticktes kaufen. Mit den "Reservetickets" kann man zu einer bestimmten Zeit anreisen und spart ebenfalls Wartezeiten. 

 

 

Wall of Honor

Einen Versuch war es wert. Zu gucken, ob sich zwischen den Reihen nicht doch Verwandtschaft verbirgt. Auf der "Wall of Honor" auf Ellis Island, im Rücken die Skyline von New York, links die Freiheitsstatue. Nach Angaben des Museums ist es die größte mit Namen beschriftete Mauer weltweit, wobei das Wort Mauer in die Irre führt, mit Steinen hat die Konstruktion nichts zu tun. Zum Museum übrigens gehört ein elektronisches Archiv mit allen auf der Insel abgefertigten Einwanderern, und wer möchte, kann vor Ort abtauchen und sich auf Zeitreise begeben. Das kostet allerdings, und wer es billiger haben möchte, nutzt dafür die Onlinedatenbank, die Informationen sind frei zugänglich: https://libertyellisfoundation.org/passenger

Jedenfalls war auf der Mauer der Name Hahnfeldt nicht zu finden -  die Nennung hätte 100 Dollar gekostet, schon allein deswegen war die Suche danach illusorisch. Aber: Immerhin gab es den Namen Hahnmann, das kam der Sache schon näher. Und: In der Online-Recherche ergab die Suche einen Treffer: Ida Hahnfeldt. 39 Jahre alt. Mit der "George Washington" aus Bremen ausgelaufen und am 27. August 1921 auf Ellis Island angekommen. Guck an.