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Die Schweiz in der USA

Da ist man also knapp 10 000 Kilometer von zu Hause entfernt und landet: in der Schweiz. Satte grüne Hügel, die sich hinter engen Kurven verstecken, dazwischen ein Bach, ein Fluss, dann wieder ein Bach, ein Hügel, und so geht es munter weiter, weiter durchs Land. Wer es schafft, New York einmal hinter sich zu lassen und weiter westeinwärts zieht, findet sich in einer Art Spielzeugeisenbahnidyll wieder. Pennsylvania ist - verglichen mit anderen US-Staaten, nicht nur eine liebliche Gegend, es ist auch eine der Regionen, in der die Menschen Pennsylvania Dutch sprechen. Pennsylvania Dutch ist ein Dialekt, der sich im Lauf der vergangenen 200, 300 Jahre entwickelt hat und am ehesten mit einer Mischung aus Englisch, Deutsch und Pfälzisch zu vergleichen ist. Es soll Menschen in Süddeutschland geben, die die Menschen hier verstehen; für jemanden aus dem Norden aber bleibt das Ganze ein Rätsel.  

Lancaster County

Eine der bekanntesten Regionen in Pennsylvania ist das Lancaster County; alles wirkt extrem gepflegt, die Rasen sind weitläufig, vor den ausladenden Auffahrten hängen amerikanische Fahnen. Außerdem gibt es Fußgängerwege, auf dem Land in den USA eher die Ausnahme. Das Lancaster County ist auch die Region, in der heute 12 500 Amish leben. Was zur Folge hat, dass Millionen von Touristen das Land quasi überrennen, was wiederum zur Folge hat, dass die Hotelpreise vergleichbar sind mit denen in New York. 

Die Menschen sind offenbar so fasziniert von der Lebensweise der Amish, dass das Ganze zum gigantischen Geschäft geworden ist. Man kann wie die Amish essen, kann wie sie schlafen, kann wie sie leben; es gibt Amish Shows, gibt Amish Freitzeitparks, es ist ein großer Ausverkauf, und wer am Wochenende oder in den Ferien im County unterwegs ist, reiht sich in lange Autokolonnen, die sich langsam über die Hügelchen arbeiten. Die Amish selbst lassen sich derweil kaum noch auf den Straßen sehen, bedrängt von den Touristen ist ein großer Teil längst weiter landeinwärts gezogen, und den Touristen bleibt nichts anderes übrig, als sich gegenseitig zu fotografieren.

 

 

Amish ist nicht gleich Amish

Pennsylvania war, das muss man dazu wissen, im 17. Jahrhundert der erste Staat in Amerika, der Religionsfreiheit erlaubte; und das ist auch der Grund, warum es an gefühlt jeder Straßenecke eine Kirche gibt. Die Amish selbst sind eigentlich eine Abspaltung der Mennoniten; beide Gruppen trennten sich im 17. Jahrhundert, seitdem zerfasern die Gemeinschaften immer mehr in weitere Untergruppen, es gibt die Ultras, und es gibt die Gemäßigten, die die Regeln etwas relaxter nehmen. 

Der junge Historiker

Wer etwas mehr als ein Wochenende in diesen Landstrich investiert, hat neben Staus außerdem die Chance, deutsche Siedlergeschichte am praktischen Beispiel zu studieren, und ein guter Weg dorthin etwa ist ein Besuch in Kutztown im Berk County. 

Kutztown ist so deutsch wie man nur deutsch sein kann, es wurde hauptsächlich von Deutschen besiedelt, die Einwohner sind stolz darauf und erzählen es auch gern. In Kutztown nun trifft man auch auf den Amerikaner Patrick Donmoyer, ein junger Historiker, Vater einer sechs Monate alten Tochter, verheiratet mir einer Amish. Er selbst ist Nachfahre deutscher Einwanderer, einer seiner Ur-Ur-Großväter war einst mit dem Schiff über Bremerhaven nach Amerika gekommen. Patrick ist der Zehnte in der Generation, er ist in der Gegend aufgewachsen und spricht zwar kein Deutsch, dafür allerdings Pennylavnia Dutch. Patrick arbeitet im Pennsylvania German Heritage Center, und in seiner Freizeit schreibt er für die Redaktion "Hiwwe wie Driwwe", ein Heftchen, deren Texte in Dialekt geschrieben sind. In diesem Jahr feiert das Blatt seinen 20. Geburtstag. "Hiwwe wie Driwwe" heißt übersetzt "Hier wie drüben", und genauso ist das Konzept zu verstehen. "Wir bringen Leute zusammen", sagt Patrick. Es gehe um Völkerverständigung, es gehe darum, Verständnis füreinander zu entwickeln. 40 Ausgaben sind bisher erschienen; es ist ein breites Spektrum, es ist ein Deutsch-Amerikanisches Panorama. 

Wer wissen will, wie Patricks eigene Geschichte auf Pennsylvania Dutch klingt, hier eine Hörprobe.

 

"Mai Ururgroßeldern hen deidsch geschwätzt"

Die Heimat so fern und doch so nah

Wie Patrick stammen also die meisten in Kutztown von Deutschen ab, und die Reise durch die Region wird zum großen Geschichtsunterricht. Auf den Friedhöfen liegen Menschen, die Elisabeth Bieber, Jacob Biel oder Jabob Singemeister heißen, die Städte nennen sich Hamburg oder Hanover, und überhaupt ist die Reise eine gute Gelegenheit, das Jetzt hinter sich zu lassen. Die Tage sind noch wohltuend warm, leichter Wind geht über die Maisfelder, im Radio spielt jemand Johnny Cash. Es ist ein angenehmes Gefühl zwischen Fremd- und Aufgehobensein, und man kann sich schon nicht mehr erinnern, wie das war, die Zeit auf dem Schiff, die Tage davor, es ist eigenartig, die Heimat so fern und doch so nah.

 

Jodel-Betty

Dass das Leben die merkwürdigsten Geschichten schreibt, ist eine Binsenweisheit, und so trifft man bei einem Ausflug auf Betty Naftzinger. Betty ist 88 Jahre alt, zusammen mit ihrem Sohn und dessen Frau lebt sie auf einer Farm im Hinterland von Pennsylvania, dort, wo sich die Katzen im Schatten von Truckreifen ausruhen und nachts die Grillen im Chor zirpen. Betty ist nicht besonders groß, sie ist nicht besonders klein, sie trägt einen verwaschenen Pullover und vor allem aber das Herz am rechten Fleck. Auch Betty spricht Pennsylvania Dutch und sie verfügt über ein Talent, das jenseits der Alpen ausgesprochen ungewöhnlich wirkt. Gemeinsam mit acht Geschwistern wuchs sie auf einer Farm einen Kieselwurf entfernt auf, und um sich beim Kühemelken die Zeit zu vertreiben, brachte sie sich als Kind das Yodeln bei, ohne Vorlage, ohne Lehrer und ohne zu wissen, dass auf dieser Welt Landstriche gibt, in der das Yodeln eine lange Tradition hat.

Betty selbst hat vier Kinder zur Welt gebracht, einen Sohn und drei Mädchen, und seit ihr Mann vor drei Jahren an Krebs verstarb, verbringt sie die Abende nun allein. Sie ist nicht unglücklich, sie hat hier ihr Zuhause, sie hat hier ihr neues Leben, aber wenn sie von früher spricht, spürt man, dass ihr etwas fehlt. 

 

 


Bibelstunde

Wer Kutztown hinter sich lässt und der Straße weiter Richtung Süden folgt, landet in Muddy Creek und Sekunden später in der dortige Library. Der Ort ist deswegen so wichtig, weil er die Geschichte der Mennoniten und der Amish beherbergt und damit auch die der Deutschen. 

Aufgebaut hat die Bibliothek Amos Hoover zusammen mit seiner Frau Nora; im Jahr 1956 hatten die  beiden begonnen, die ersten historischen Bücher und Bibeln zu sammeln, inzwischen ist der Fundus auf etwa 30 000 Exemplare gewachsen. Wie Betty ist auch Amos 88 Jahre alt; er ist ein wacher, ein bescheidender Mann. Amos ist Mennonite, zehn Kinder hat er großgezogen, er hat 100 Enkel und einen skeptischen Blick. Amos spricht neben Englisch und Pennsylvania Dutch auch Deutsch, er hat es sich selbst beigebracht. Das älteste Buch in seiner Sammlung stammt aus dem 16. Jahrhundert; eine Bibel, sie wurde 1524 in Deutschland gedruckt. Dass sie noch existiert, grenzt wie die meisten seiner Bücher an ein Wunder; der Besitz war früher verboten, er wurde mit dem Tod bestraft, Auswanderer schmuggelten die Werke später nach Amerika. 

Wer sich mit Amos auf Geschichtsreise begibt, wird am Ende mit Vertrauen und einer Einladung belohnt. Einmal im Jahr treffen sich die Mennoniten und Amish aus Pennsylvania zum gemeinsamen Singen in einer alten Kirche. Die Mitglieder reisen von überall aus dem Land an, vor der Kirche parken Kutschen statt Autos, innen gibt es keine Heizung, der Strom für das Licht kommt aus einem Generator. Der Gesang ist eine Mischung aus deutsch und englisch, die Wörter und Buchstaben werden langsam gesungen und langsam gedehnt. Und so sitzt man also am anderen Ende der Welt auf einer Holzbank zwischen Männern, die lange Bärte tragen und Frauen, die wirken, wie aus der Zeit herausgefallen, und wenn man ihnen ganz genau zuhört, erkennt man tatsächlich die eigene Sprache. 

 

 

Hiwwe wie driwwe

Wie man es macht, macht man es verkehrt, und so also fahre ich in einer Zeit durch die USA, in der man in Deutschland den Amerikanern mit Kopfschütteln begegnet. Trump, Mauer, Mexiko, dazwischen Hurrikan und jede Menge andere schlechte Dinge. Ich hatte reisen wollen, ich hatte die USA kennenlernen wollen, ich dachte, uns trennen Welten. Stattdessen jedoch lerne ich, dass wir gar nicht soweit auseinander liegen. Die Erfahrung nämlich zeigt: Jeder sieht, was er sehen will, jeder sucht sich seine Argumente, und am Ende bleibt nur übrig, was in die eigene Schablone passt, hiwwe wie driwwe.

Es ist eben keine Reise der Gegensätze. Es ist eine Reise in die Vergangenheit. Millionen flüchteten vor Jahrhunderten und Jahrzehnten aus Europa, aus Deutschland, und ausgerechnet im jetzt viel gescholtenen Amerika fanden sie eine neue Heimat. Und so sind es nicht die Amerikaner, von denen die Deutschen glauben, sie nicht mehr verstehen zu können, es ist die eigene bucklige Verwandtschaft. 

 

 

In eigener Sache

Ich muss es verdrängt haben, die Hotelpreise in den USA aber machen mich fertig. Sie sind auch der Grund, warum ich nur sporadisch zum Schreiben komme. Stattdessen verbringe ich die Abende  damit, mir irgendwelche halbwegs bezahlbaren Unterkünfte zu suchen. Ich bin noch keinen Monat hier, aber schon jetzt werden letzte Reserven mobilisiert. Und es spielt auch keine Rolle, wo und wie ich unterkomme. Hotel, Bed & Breakfast, Air'b'n'b - alles in etwa ein Niveau. Mir ein Rätsel, wie das die Amis machen. Zwischenzeitlich bin ich dazu übergegangen, nach 16 Uhr die Hotels nach dem Best-Preis abzuklappern. Das war nur halbwegs erfolgreich, am Ende landete ich dann doch wieder in einem der B & B's. Die sind im Vergleich zu Zweisterne-Hotels im Schnitt zwar teurer, dafür aber schöner, und vor allem: Es gibt handgemachtes Frühstück. Aktuell ist meine Taktik, morgens mir den Bauch so vollzuschlagen, dass es für den ganzen Tag reicht. Für einige Herbergseltern mag der Anblick befremdlich sein, aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. So spare ich Geld, allerdings klappt das leider auch nicht immer. Make American great again? An mir liegt's nicht. Jetzt echt ma.   

Eure Marion

P.S. Tipps herzlich willkommen. 

Schöner Wohnen

Tipps

  • Landis Valley Museum. Zeigt das Leben deutscher Siedler im frühen 18. Jahrhundert. Die gesamte Anlage ist ein Open-Air-Museum mit originalen Häusern, Scheunen und Ställen.
    http://www.landisvalleymuseum.org 
  • Old Economy Village: Gegründet von deutschen Harmonisten und aus einer Glaubensgemeinschaft aus dem Schwäbischen, die über Jahrzehnte ein sehr erfolgreiches christliches-sozialistisches Experiment verwirklichten.
    http://oldeconomyvillage.org 
  • Ephrata Cloister: Das Ephrata Cloister war ebenfalls Heimstätte eine Glaubens-Gemeinschaft, die im Jahr 1732 von dem deutschen Auswanderer Johann Conrad Beissel im nordamerikanischen Pennsylvania gegründet wurde. Heute ist das Ganze ein Freilichtmuseum.