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Familien-Bande

Ich hatte nichts erwartet, wollte nur hallo sagen. Ein Handschlag zur Begrüßung hätte mir gereicht und ein kleiner Spaß über unseren gemeinsamen Nachnamen vielleicht. Dass ich am Ende aber die Farm als Familienmitglied verlasse würde, das hatte ich mir so nicht vorgestellt. Es fühlte sich merkwürdig an. Wie plötzlich schwanger.  

Begonnen hatte alles mit den Recherchen für das Siedler-Projekt, ich hatte es bereits erwähnt. Beim Sortieren der Unterlagen war mir irgendwann die Idee gekommen, den eigenen Namen zu googeln. Die Chancen standen hinreichend schlecht, dachte ich zumindest, niemand heißt Hahnfeldt. Bei Facebook aber tauchten tatsächlich ein paar Namensvettern auf, selbst in den Staaten fand ich welche, und ich fragte mich, wie es sich wohl leben musste da drüben unter all den Jones oder Johns, und sie taten mir irgendwie leid. 

Die meisten meiner Anfragen via Facebook blieben dann aber unbeantwortet. Und als ich schon gar nicht mehr damit rechnete, meldete sich ein Bill Hahnfeldt aus Wisconsin. Ich schrieb ihm von meinem Vorhaben und fragte, ob ich auf einen Kaffee vorbei kommen könnte. Zunächst waren die Reaktionen verhalten, was hatte ich schon anzubieten? Anders als die meisten meiner Interviewpartner für dieses Projekt waren bei meiner Familie bisher allenfalls noch die Daten der Urgroßeltern abrufbar gewesen, der Rest der Informationen versandete im kargen Boden Preussens. 

Um es kurz zu machen; richtig vielversprechend war das Unterfangen nicht, und damit endete beinahe die Geschichte. Der amerikanische Hahnfeldt jedenfalls schien nur geringfügig interessiert, und nach einem ersten Briefwechsel herrschte über Monate Funkstille. 

Heute nun sind wir Cousin und Cousine 4. Grades. Wie sich herausstellte, haben wir einen gemeinsamen Ururururgroßvater; Johann Ludwig Hahnfeldt, geboren 1797, der wiederum hatte drei Söhne; und der Sohn des eines Sohnes wanderte Mitte des 19. Jahrhunderts nach Amerika aus, der andere blieb in Deutschland. Der Rest ist Geschichte.

Was ich damals bei meinem ersten Kontakt nicht ahnte, mit Bill Hahnfeldt war ich auf jemanden gestoßen, der seit seiner Kindheit mit einer Hingabe Ahnenforschung betreibt wie andere Leute puzzeln. Kurz vor der Landesgrenze schrieb ich ihn nochmals an, dann telefonierten wir, er klang wie jemand, der sich über einen Besuch freut. Als ich mit dem Auto auf die Farm seines Vaters fuhr, stand er vor der Tür und lachte, dann holte er zum Gegenschlag aus und legte einen eindrucksvollen Ordner auf den Tisch, die Arbeit von Jahren. Mit Hingabe skizzierte er auf einem Blatt Papier den Familienstammbaum, in der untersten Reihe steht nun mein Name. Es war eine gelungene Überraschung, und Bill genoss sie. Sein Vater (3. Foto unten) leistete unserem Gespräch Gesellschaft, doch während sein Sohn Daten und Namen aus dem Gedächtnis zitierte, erging es ihm offenbar wie mir; wir  beide waren mit den Umständen etwas überfordert. Es war ein heißer Tag, die Temperaturen lagen bei weit über 30 Grad, und überhaupt, wie  reagiert man angemessen in so einer Situation? Ich bekam eine Cola.

Das Leben ist Zufall. Jemand biegt an einer Weggabelung ab - und plötzlich verändert sich alles. 

In den vergangenen Tagen und Wochen habe ich viel Zeit auf Friedhöfen verbracht. Und immer, wenn ich die Namen derer las, die dort beerdigt liegen und mir dann ausmalte, wie sie sich mit der Hoffnung auf ein besseres Leben mutig ins Unbekannte begeben hatten, so viele Träume, so viele Enttäuschungen, bekam ich ein sonderbares Gefühl und  eine Ahnung davon, warum das Bewahren der Geschichte wichtig ist. 

Bill Hahnfeldt war noch nie in Deutschland. Er wusste bisher nicht, wo Brandenburg liegt, meine Heimat. Ich wusste nicht, dass es Familie in Wisconsin gibt; nicht nah, aber nah genug, um hallo zu sagen. Was daraus wird? Man wird sehen. Die Reise ist noch nicht zu Ende. 

"Das Leben ist Zufall. Jemand biegt an einer Weggabelung ab - und plötzlich verändert sich alles" 

 

 

Bill Hahnfeldt senior.