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Across the Ocean

Der Tag endet wie er begann. Mit einem Blick über den Atlantik, statt des Kaffees aber halte ich ein Bier in der Hand und mit nichts in der Welt möchte ich in diesem Augenblick tauschen. Das letzte Mal, als ich so viel Frieden empfand, ist lange her, so lange her, dass ich mich nicht mehr erinnern kann. Eins mit dem Meer. Mit dem Schiff. Der Schlag der Wellen ist zu spüren. Der Puls der Motoren. Die einzige Ablenkung bin ich selbst - sind meine Gedanken.

 

 

Meer. Weite. Einsamkeit.

Die Idee war gewesen, so zu reisen, wie es einst die deutschen Siedler taten, mit dem Schiff nach Amerika, New York und die Freiheitsstatue vor Augen, einer ungewissen Zukunft entgegen. Am Ende aber kam alles anders. Die Abfahrt verzögerte sich um ein paar Tage. Und statt nach New York war ich nun von Bremerhaven nach Charleston in South Carolina unterwegs, und aus den geplanten zehn Tagen wurden 13. Auf See gibt das Wetter gibt den Takt vor. Alles andere ordnet sich ihm unter.

Wer mit dem Frachtschiff reist, wird der Zeit entrissen. Kein Internet, kein Telefon, keine Pläne. Stattdessen Meer. Weite. Einsamkeit - im angenehmen Sinn. 

Mit nackten Füßen über der Reling

Das Leben an Bord: Für die Mannschaft streng strukturiert. Dienst von 8 bis 17 Uhr. Eine Stunde Mittagspause. Ich selbst kann mich frei bewegen. Auf der Brücke. Am Bug. Auf den Decks.

Die Crew (13 Mann stark) besteht hauptsächlich aus Philippinos. Der Kapitän ist aus Russland. Der zweite Offizier aus der Ukraine. Der dritte Offizier aus Rumänien. An Bord wird englisch gesprochen. Alle sind ausnehmend höflich, viele herzlich. Meine Kabine ist beinahe größer als die Wohnung zu Hause. Wohnzimmer. Schlafzimmer. Dusche. Der Blick ist nahezu unverstellt und geht nach vorne übers Schiff. Und wenn ich wollte wie ich könnte, würde ich vielleicht den Kraftraum, das Schwimmbad oder die Sauna besuchen. Will ich aber nicht. Auch Nichtstun kostet Zeit. Und davon habe ich nichts zu verschenken. 

Der Frachter: Gigantisch. 300 Meter lang. Unterdeck. Dann Deck A, B, C, D, E, F, G, erst dann kommt die Brücke. Das Schiff fährt unter portugiesischer Flagge. Der Reederei sitzt in Deutschland. Die "Lisbon" selbst ist Baujahr 2002 und damit eine alte Lady. Mit den Tagen gewöhne ich mich an ihr Stöhnen und Knarzen. Und mit den Tagen verliere ich zunehmend die Angst vor Wind und Wetter. Irgendwann kommt die erste entspannte Nacht.

Der Lieblingsplatz: Vorne am Bug, mit nackten Füßen über der Reling, den fliegenden Fischen zugucken. 

 
 

10 Dinge über das Leben an Bord

  • Der Bug ist vorne, und an schönen Tagen findet man dort auch den größten Frieden. Keine lärmenden Motoren. Kein Dieselgeruch. Der Blick ist weit. Unvorstellbar weit.
  • Die Koje ist nicht einfach eine Kabine. Die Koje ist eine Wohnung. Mit Fernseher (Empfang nur in den Häfen). Mit Telefon (nur für innerhalb des Schiffs). Mit Kühlschrank und Bar. Und apropos Bar. Wer ein Bier bestellt, bekommt gleich eine Kiste. Mit Einzelflaschen gibt sich niemand ab. Wünsche nimmt der Stewart auf, den gibt es nämlich auch.
  • Skorbut muss niemand fürchten. Es gibt vier Mahlzeiten an Bord. Frühstück. Mittag. Nachmittagskaffee. Und Abendessen. Das Essen ist richtig gut. So gut, dass es überrascht.
  • Der Kapitän ist der Master. Der Chef über allem. Alle nennen ihn Sir. Aber noch wichtiger ist der Koch. Mit dem legt sich niemand an. Er ist der echte Master of the Universe.
  • Wellen sind nicht gleich Wellen. Manche schlagen und wüten, andere vispern. Stampfende Wellen bedeuten, dass die Wellen von vorne kommen, der Bug taucht ein. Kommen sie von der Seite, schaukelt das Schiff, was im Vergleich zum Rollen sehr viel angenehmer ist.
  • Es gibt Menschen, die werden bei der kleinsten Bewegung seekrank. Andere nicht. Warum das so ist? Weiß niemand. Was gegen Seekrankheit hilft? Der Kapitän spricht von Tropfen. Der Apotheker von Kaugummi. Der Koch von Ingwer. Ich brauche nichts davon. 
  • Die Längengrade bestimmen die Uhrzeit. Und auf dem Weg von Bremerhaven nach Charleston änderte sie sich gefühlt ständig. Wer wissen will, wie spät es ist, geht am besten auf die Brücke. Oder er wartet den Alarm ab. Jeden Mittag um 12 Uhr tönt die Sirene. Zeit zum Essen.
  • Die beliebteste Freizeitbeschäftigung der Crew ist Karaoke. Jeder singt, auch wenn er nicht singen kann. Die Philippinos sagen, singen sei das beste Mittel abzuschalten. Bier hilft natürlich auch. 
  • Es ist ein Fehler, in seinem Leben niemals auf einem Frachtschiff gefahren zu sein. Der Zeit entrissen. Wunderbares Gefühl. Glück kann man kaufen. 

 

Leben an Bord

Mit der Küche steht und fällt alles. Die Moral. Der Wille. Die Kraft, durchzuhalten. Ohne einen guten Koch ist eine Crew nur halb gut. Die Philippinos bleiben für neun Monate an Bord.  Kapitän und Offiziere haben kürzere Kontrakte, aber auch sie sind für Monate auf See. Ohne Familie, ohne Freunde, ohne Heimat. Da will jeder wenigstens gut essen.

Der Koch ist der erste am Morgen, und nicht selten ist er als letzter am Abend zu sehen. In seiner Küche ist es heiß wie im Maschinenraum. Auch bei Seegang ist die Küche nicht geschlossen. Auf der "Lisbon" führt Simeon Antiquera das Geschäft. Ein Mann von 34 Jahren. Der gerne singt und dem die Laune nichts so schnell verderben kann. 

 

 

Die Gesichter der Crew

Der Kapitän: Igor Makota, 42 Jahre alt, im russischen Wladiwostok zu hause. Verheiratet, Vater einer siebenjährigen Sohns. Seit vier Jahren mit Kapitänspatent. Wenn nicht Seemann, wäre er am liebsten Pilot geworden. Kennt die Welt wie seine Westentasche. Aktuell ist er gerade auf der Heimreise, fünf Monate war er an Bord, im November besteigt er ein anderes Schiff.

Der Messman: Erwin Rommel Alim Brionese, 25, aus Manila. Der Vorname ist kein Scherz. Teile seine Verwandtschaft hatten zu viele Geschichtsbücher gelesen, mit den Konsequenzen muss er heute leben, das stört ihn aber nicht. An Bord nennen ihn alle Win. Wenn er nicht in der Küche hilft, kümmert er sich um die Passagiere, die es an Bord eines Frachtschiffs in überschaubarer Zahl gibt, ich etwa war allein, die andere Kabine blieb auf der Reise unvermietet. Win hat eine Freundin, und nach dem Dienst geht er zwei Stunden ins Fitnessstudie, dann schlafen, dann wieder Dienst, dann Fitnessstudio und so weiter. Und mit Glück bekommt er manchmal Landgang. In den fünf Monaten hat er zwei Hafen bisher näher gesehen.

Ordinary Seaman (einfacher Seemann): Ryan Mariano Vergara ist 33 Jahre alt, man könnte aber glatt zehn Jahre jünger schätzen. Großer Charmeur mit dem unbedingten Willen, mehr aus seinem Leben zu machen. Er stammt aus Manila und hat zu hause eine große Familie. Gerade ist er dabei, sich von seinem Sold ein Business aufzubauen. Im Gegensatz zu vielen anderen in der Crew arbeitet er an Deck, deswegen trägt er statt eines blauen einen roten Arbeitsanzug.     

 

 

Der Kapitän.
Der Seemann.
Der Stewart.