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North Dakota - far and away

Und als der Wagen dann um die Kurve bog, stand er plötzlich vor mir. Hob den Kopf, blickte kurz auf, blickte zur Seite, hielt inne - und graste weiter. Es war eine Mischung aus Übermut, Angst und Faszination, die mich erstarren ließ, keinen Zentimeter weiter, er nicht, ich nicht, so große Tiere, und ich dachte immer, sie wären lange ausgestorben. 

North Dakota kam zum richtigen Zeitpunkt, gerade dann, als ich begann, müde zu werden, müde vom Reisen, ermattet vom Corn, ich dachte, ich hätte alles gesehen, alles gehört; der Westen ist nicht wild, er ist vor allem eins: er ist gut erschlossen; vom Auto aus wirkt das immer ganz anders. Versucht man dann aber, an dem etwa malerisch gelegenen See spazieren zu gehen, stößt man auch im wörtlichen Sinn an seine Grenzen. Nahezu alles ist private property, und ist es das nicht, ist auf dem Gelände bestimmt Fishing und Hunting erlaubt. Ich weiß nicht, wie das andere sehen, die Gefahr aber, mit etwas verwechselt zu werden, was später ausgestopft an einer Terrassenwand hängt,  ist mir dann doch zu groß; also keine Wanderungen, keine Spaziergänge, und die Umstände ließen mich zwischendurch tatsächlich verzweifeln.

Als mir dann aber jemand sagte, North Dakota sei eines der am wenigsten besiedelten Gebiete, buchte ich gedanklich um, verwarf meine Pläne; ich wollte Einsamkeit, ich wollte Natur; ich wollte durch verlassene Gegenden streifen, ich wollte auf Sandwolken in den Horizont schlittern, ich wollte auch ein Siedler sein; Neuland, weites Land, ich wurde fündig.

Far and away.

Der Wind - und ich

Und was mir auch in Erinnerung bleiben wird: Der Anblick der Canyons. Die Weite. Die Stille. Die Fahrt durch den Sonnenuntergang. Die Fahrt bei Sonnenaufgang. Die unbekannten Blumen auf der weißen Erde. Die rote Erde. Der leere Campingplatz, niemand da. Nur ich und der Wind, dazwischen eine ungreifbare Sehnsucht und Trauer, die einen angesichts von etwas wirklich Schönem immer erfasst.  "Ich habe manchmal Heimweh, ich weiß nicht wonach", schreibt Mascha Kaléko. Noch ein Satz zum Merken.  

Sie nennen die Formationen "Badlands", weil nichts darauf wächst, was man verwerten kann, weil das Gelände schlecht zu durchqueren ist. Ein Umstand, dem die Amerikaner heute einen ihrer schönsten National Parks verdanken, in North Dakota ist er nach Theodore Roosevelt benannt. Roosevelt hatte es zunächst in die Gegend um den kleinen Ort Medora zur Bisonjagd verschlagen, er verlegte sich dann aber später auf die Viehzucht, und noch später ging er in die Politik, wurde ein Anhänger des Naturschutzes und schrieb über seine Zeit in North Dakota ein paar Bücher. 

Die Badlands befinden sich im äußersten Westen North Dakotas; sie strecken sich bis nach South Dakota (dazu später mehr); in Wyoming nennen sie sie auch Hell's Half Acre. Und was die Bisons betrifft: 70 Millionen hatten Amerika einst besiedelt, dann wurde es  Volkssport, die Bestände zu dezimieren,
bis 1895 blieben noch ganze 800 übrig. Inzwischen haben sich dank des Naturschutzes die Zahlen tatsächlich wieder etwas erholt: 30 000 Bisons soll es heute wieder in den USA geben. Die Art aber ist noch lange nicht gerettet.

Und weil ich mich nur schlecht von der Gegend trennen konnte, hing ich noch ein paar Tage ran; zum Abschluss reichte der Rancher mir als Souvenir einen Aufkleber: „I found myself in North Dakota’s National Park“  - ich würde sagen: die Richtung stimmt.

 
 

Auf einen Blick

Bismarck in Dakota

Nun wäre ein Projekt kein Projekt, gäbe es nicht einen roten Faden; und nach dem Ausflug in die Natur zurück  zum Eigentlichen. Und selbstverständlich hat es die Deutschen auch bis hier nach North Dakota verschlagen. Mehr darüber weiß Donna Hammer vom Visitor Center in Fargo; dem Ort also, dem die Coen-Brüder mit  dem gleichnamigen Film ein wunderbares Denkmal setzten. Dass der Thriller mangels Schnee allerdings zum größten Teil jedoch in Bathgate und Grand Forks in North Dakota und auch Minnesota  gedreht wurde, lässt die Einwohner relativ unbeeindruckt, und mit viel Stolz haben sie vor dem Tourismus Büro einen Walk of Fame angelegt, und den Holzhäcksler, in der Gaear Grimsrud die Leiche versenkt, gibt es gleich auch noch zu sehen. 

Donna selbst hat natürlich deutsche Vorfahren, es ist die übliche Geschichte; Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Schiff auf in eine neue Zukunft,  und Bismarck, die Hauptstadt, heißt natürlich nicht ohne Grund Bismarck. Das wirkt angesichts knapp 10 000 Entfernung von Deutschland natürlich einigermaßen skurril, aber gestern sah ich in einer einsamen stoppligen Gegend einen kleinen Supermarkt, versehen mit dem Namen "Wolfgang". Bismarck erscheint dagegen doch etwas großzügiger, und die Idee für die Namensgebung war einst, auf diese Weise noch mehr deutsche Einwanderer in die Tiefen des Mittleren Westens zu locken. Zu einer großen, alles umfassenden Welle kam es zwar nicht, die entstand erst, als in der Nähe Gold gefunden wurde. So steht es bei Wikipedia, so erzählt es auch Daniel Sauerwein (!) von der State Historical Society of North Dakota; und von ihm auch erfährt man, dass Deutsch quasi früher in der Gegend überall gesprochen wurde. Es waren vor allem Russlanddeutsche, die sich hier angesiedelt hatten.

Bismarck selbst ist eine weit ins Land gebaute Stadt mit einem zwar übersichtlichen Zentrum, dafür aber mit dem wunderbaren Heritage Center und ebenso wunderbar engagierten Mitarbeitern. 

Deutsch als Amtssprache?

Es ist eine in Deutschland gern kolportierte Legende: Dass Amerika kurz davor war, Deutsch als Landessprache einzuführen, allein eine Stimme im Parlament habe es während einer Abstimmung im 18. Jahrhundert verhindert. "Das ist eine Mär", sagt dazu Lavern Rippley, Professor of German in Minnesota, "es ist wie mit der Katze und den neun Leben: sie lebt ewig", und er liefert die Begründung gleich mit:  

Die Geschichte gehe auf eine Petition in Virginia zurück, die deutsche Einwanderer 1794 beim US-Repräsentantenhaus eingereicht hatten; sie forderten die Veröffentlichung von Gesetzestexten in deutscher  Übersetzung; es würde den Einwanderern helfen, so hieß es, sich schneller mit den Gesetzen in der neuen Heimat zurechtzufinden. "Doch der Antrag wurde vom Hauptausschuss abgelehnt - mit 42 zu 41 Stimmen", so Lavern. Die Petition selbst sei davon nicht betroffen gewesen.

Der Sprecher des Repräsentantenhauses war übrigens ein gewisser Frederick Muhlenberg, Sohn deutscher Einwanderer, der unterschiedlichen Überlieferungen zufolge ebenfalls gegen den Antrag stimmte oder sich zumindest der Abstimmung enthielt; er wurde später auch für die Niederlage verantwortlich gemacht.

Kurz-Porträts

Der Spät-Aussiedler

Die ersten Telefongespräche verlaufen auf Englisch, beim persönlichen Gespräch aber wechselt er plötzlich ins Deutsche, und das ist dann doch eine Überraschung. Während andere auch nach Jahrzehnten ihren Akzent beibehalten, kann Claus Lembke gut verbergen, dass er in Süderlügum in Schleswig-Holstein aufgewachsen ist. Und auch im Laufe des Nachmittags fällt er nur gelegentlich zurück in seine Muttersprache, der Aufenthalt in den USA hat seine Spuren hinterlassen. Claus ist ein Einwanderer der jüngeren Generation, und auch wenn seine persönliche Geschichte vielleicht selbst noch keine Chroniken füllt, so fußt sie doch auf einer Biographie, die bis ins 19. Jahrhundert reicht.

Der Bruder seines Urgroßvaters war 1892 von Süderlügum nach Amerika ausgewandert, er landete in New York, von dort zog er weiter nach North Dakota, arbeitete dort so lange auf einer Farm, bis er selbst Land erwerben konnte, bestellte es, bestellte es gut; verkaufte es wieder, zog wieder um - und baute sich mit den Jahren ein ertragreiches Leben im Mittleren Westen auf. Und so entwickelte sich die Geschichte immer weiter, Familienangehörige kamen nach, kauften eigenes Land, zogen noch mehr Familienangehörige nach  - und  irgendwann kam Klaus ins Spiel.

Er hatte in Süderlügum den Landschaftsbetrieb von der Pike gelernt, wie viele andere vor ihm wollte er in Amerika ein neues Leben starten, 1965 war es dann soweit, zog los mit einem kleinen Koffer und einer großen Portion Mut, und als er dann mit dem Schiff die Freiheitsstatue passierte, da war er den Tränen nah.  Fünf Jahre später erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft, er machte als Makler Karriere, heute lebt er zusammen mit seiner  Frau Masha und seinen drei Kindern auf einem weitläufigen Grundstück am Stadtausgang von Bismarck.  Er sagte, "die Entscheidung, weg zu gehen, war das Beste, was ich je gemacht habe", er sagt,  er möchte mit niemandem tauschen. 

Der Schriftsteller

Dougs Geschichte reicht von Medora nach New Leipzig in North Dakota, von dort nach Siebenbürgen in Rumänien, von dort nach Sachsen in Deutschland - sie streckt sich über die Jahrhunderte, über Generation,  und jetzt liegt sie hier aufgeblättert in einer kleinen Familien-Chronik. Doug ist Autor, ist Bücherladenbesitzer, und zusammen mit seiner Frau Mary betreibt er ein kleines Hotel am Rande des wunderbaren "Theodore Roosevelt National Parks". Er selbst ist im etwa zwei Stunden entlegenen New Leipzig aufgewachsen, er ist dort zur Schule gegangen, mit 17 schrieb er seine erstes Buch, eine Biografie über Frank Finkel, einem US-Soldaten, der die Indianerschlacht am Little Big Horn überlebte.

Inzwischen hat Doug acht Bücher veröffentlicht, zumeist Biographien, Schwerpunkt amerikanische Western-Geschichte. Und während er aktuell an einem Aufsatz über das Leben von Theodore Roosevelt arbeitet, bietet ein Blick in seine eigene Familie den interessantesten Stoff. Seine Vorfahren hatten sich einst auf den beschwerlichen von Sachsen in die Karpaten gemacht, die Gegend heißt auch Transsilvanien; man versprach ihnen Land, es herrscht Glaubensfreiheit, und während sie dort über Generationen ihr kleines deutsches Leben leben konnten, mit deutschen Traditionen und deutscher Sprache, wechselte irgendwann die politische Situation, aus Privilegien wurden Repressalien, und schließlich emigrierte Dougs Großvater 1907 nach Amerika.

Es war stets ein Leben zwischen den Welten; heimatlos in der Heimat, heimatlos in der Fremde; "Old country" nannten sie zu Hause Rumänien, und  vielleicht ist das auch der Grund, warum das Thema Historie zu Doug Lebensthema geworden ist. Geschichte ist das, was ihn umtreibt, sagt er. Sie hat ihn zu einem Suchenden gemacht, zu einem, der versucht, die Rätsel der Vergangenheit zu einer Antwort zusammen zu fügen. 

  • Doug über seine Vorfahren:

Tipps

  • Wenn man mich fragt: North Dakota dringend einen Besuch abstatten. Und wie immer gilt: Die Saison meiden. Ich habe Fotos vom National Park im Sommer gesehen; würde ich nicht zu raten. Mehr dazu aber hier:
    https://www.nps.gov/thro/index.htm

Alles andere als bad - The Badlands