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How are you doin' today?

Ist man eine Weile auf den Straßen der USA unterwegs, lernt man einiges über das Land, es ist eben doch eine andere Perspektive. Aus den unendlichen Maisfeldern zirpen die Zikaden, das Gelb der Sojabohnen flammt gegen den Himmel, Mähdrescher fräsen durch trockenen Sand und hinterlassen riesige Staubwolken, die im Licht der Sonne tanzen. Cat Stevens singt "You can do what you want, the opportunity is on"; ich kann das jetzt auswendig, "The Very Best of Cat Stevens" ist aktuell die einzige CD an Bord, und irgendwie hat er natürlich recht. Und so eiere ich nun also schon eine Weile immer weiter Richtung Westen, vorbei  an den immer gleichen Drive-In-Restaurants und Drive-In-Hotels, vorbei an verfallenen Scheunen, Kornsilos weisen den Weg, und ich frage mich, woher sie kommt, diese unverschämte Herzlichkeit der Amerikaner. Pausenlos wollen sie wissen, wie es mir geht, es scheint, als würde es sie wirklich interessieren; es gipfelt darin, dass ich selbst auf einer verlassenen Piste im Nirgendwo kein Foto in Ruhe machen kann, weil nicht eben doch plötzlich doch ein Truck hält und der Fahrer wissen will, ob alles okay ist. Wenn das hier im Mittleren Westen wirklich alles Deutsche sind, muss mir mal einer erklären, was bei uns schief gelaufen ist. Und selbst wenn ich Hautfarbe und Frauenbonus abziehe, am Ende bleibt  immer noch jede Menge Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit übrig. Die Amerikaner mögen meinetwegen politisch gesehen ja einen Blackout haben, wenn das aber diese berühmt-belächelte Oberflächlichkeit ist, ich kann damit gut leben.   

Indiana - Mais, Mais, Soja

Eine Welle der Freundlichkeit hat mich nun also über kleine Straßen bis nach Indiana getragen, und zu meinem Bedauern unterscheidet es sich zumindest landschaftlich kaum von bisher Gesehenem, wieder Acker- und Weideland, wieder die bereits bekannten Hügel, verhaltene Schönheit, ein Land, das weit und ruhig unter der Sonne liegt; ich hätte mir gern etwas mehr Dramatik gewünscht, wennschon, dennschon. Immerhin aber sorgt der Ohio-River im Süden für wohltuende Abwechslung, und Indianapolis überrascht mit ansteckender Lebensfreude, das hatte ich mir anders vorgestellt. Stattdessen Cafés, bunte Geschäfte, Leute, die in ausgewählter Garderobe in Bars ihren Feierabendwein trinken; Reizüberflutung nach all den Tagen vor allem auf dem Land.  

Von oben ähnelt Indiana nun einem Nikolausstiefel, am Schaft akkurat nach Ohio und Illinois abgeschlossen, nach unten fasert es leicht Richtung Westen aus. Nachdem sich die Deutschen im 18. Jahrhundert größtenteils in Pennsylvania niedergelassen hatten, waren sie dann mit ihren Wagen weitergezogen, ein Teil ließ sich in Indiana nieder. Woher der Name kommt, kann sich jeder denken, kein sonderlich rühmliches Kapitel in der amerikanischen Geschichte. Als kleiner Ausflug in die Historie nur so viel: Wabash in der Mitte des Landes soll die weltweit erste elektrisch beleuchtete Stadt gewesen sein, schreibt zumindest das Internet. Guck an.

Der Sterben der Sprache

In den USA lässt sich aktuell das beobachten, was Wissenschaftler das Sterben der Sprachen nennen. Die Siedler hatten nicht nur ihre Träume und Hoffnungen mit nach Amerika gebracht, mit dabei hatten sie ihre Traditionen, ihre Kultur, ihre Dialekte. Und über Generationen hinweg wurden sie an die Nachfahren weitergegeben, an den Küchentischen der Familien wurde Schwäbisch, Pfälzisch oder Plattdeutsch gesprochen; das meist isolierte Leben auf einer Farm im Irgendwo von Iowa oder Nebraska half beim Konservieren der Dialekte, nun jedoch fordert die Moderne ihren Tribut. Mit der jetzigen Generation geht all das unwiderruflich verloren, was sich über Jahrzehnte, Jahrhunderte halten konnte. Die Welt ist global geworden, zusammengeschrumpft auf Facebook und Co.; das hat nicht nur Vorteile.

 

Der Geschichten-Sammler

Itzecrema - so nannte seine Großmutter Eiscreme. Itzecrema für Icecreme. Eine Mischung aus Englisch und Deutsch, Denglisch würde man heute sagen; entstanden fern der Heimat, den Umständen geschuldet. Das Deutschland der Auswanderer war weit entfernt, und nach und nach suchte sich ihre Sprache in der Fremde ihren eigenen Weg, sie fand ihre eigene Farbe. William Selm aus Indianapolis weiß viel davon zu erzählen, die Erinnerung an seine Grußmutter ist ihn im lebendig; für ihn als Kind war sie wichtiger Bezugspunkt, sie war Vorbild, seine große Kinderliebe. Und das ist wohl auch der Grund, warum ihn die Geschichte nicht loslässt. "We must do it", sagt er, und er meint damit das Bewahren des Erbes, man müsse sich darum kümmern, sagt er, "anderenfalls stirbt es." Seine Vorfahren stammen aus Westfalen, in Franklin County in  Indiana fanden sie eine neue Heimat, und man muss nur einmal durch den kleinen Ort Oldenburg im Osten des Staates gegangen sein, um zu verstehen, was ihn umtreibt. Deutsche wie seine Vorfahren hatten die Siedlung einst gegründet, noch heute heißen die Straßen Wasserstrasse, Weinstockstrasse, Hauptstrasse,und das hat keine touristischen Gründe. William Selm entwarf einen Stadtplan des Ortes, und darin eingezeichnet sind die wichtigsten Stationen. Hier das Kuntz-Kellerman Store Building, erbaut 1840 als Geschäft und Gastraum, dort das Heppner House, 1850 gebaut, und da, am Ende steht das Waecheter-Schmidt-Hoelker-House, das Haus seiner Vorfahren. "I am proud of all", sagt er und hält anschließend eine flammende Rede für die Bewahrung der Geschichte, aus jedem einzelnen Wort spricht die Begeisterung. Fragt man ihn nun, was in seinem Fall nahe liegt, wie oft er nämlich in Deutschland gewesen sei, auf den Spuren seiner Vorfahren, erhält eine überraschende Antwort. "Nie." Aber wer weiß, womöglich ist das auch gar nicht notwendig. Mancher reist in Gedanken.  

Der letzte Zeitzeuge

Er sagt, er fühle sich schuldig. Er sagt, er habe es versäumt, das weiterzugeben, was über Jahrzehnte Tradition gewesen sei. John Bieker, 69 Jahre alt, in den USA geboren, dort aufgewachsen, zwei Kinder, sitzt an seinem Küchentisch in einer kleiner Siedlung nahe Jasper im Westen von Indiana, und für einen Augenblick ist er den Tränen nah. "I feel guilty", sagt er, es ist ihm ernst. John Bieker vertritt die letzte Generation der Familie, die deutsch sprechen kann; stirbt er, sterben seine beiden Schwestern, verliert sich das Fundament, auf dem so vieles fußte. Geschichte. Tradition. Große Worte, viel Verantwortung, häufig zu viel Verantwortung für die Nachkommen.   

Seine Ururgroßeltern waren einst aus einem kleinen Ort nahe Köln nach Amerika ausgewandert, mit dem Schiff hatten sie sich auf den Weg nach Philadelphia gemacht, und während seine Vorfahren und auch noch seine Eltern zu hause Dialekt sprachen, forderte die Zeit ihre Opfer. John heiratete eine Amerikanerin, seine Kinder wuchsen mit englisch auf, und damit war das Ende besiegelt.

Johns Geschichte ist exemplarisch für eine Generation, die hin- und hergerissen ist zwischen gestern und heute; er ist der letzte Zeitzeuge seiner eigenen Familie-Geschichte. Und die Gründe, warum nun ausgerechnet mit der zumeist jetzt fünften oder sechsten Generation etwas unwiderruflich verloren geht, sind in den meisten Fällen ähnlich. Eine Heirat, der Wandel der Arbeit, der Wandel der Lebensumstände. Und so sehr John auch im Jetzt lebt, es würde den Verlust gerne ungeschehen machen, er verbindet viel mit der Vergangenheit, seine lange verstorbene Mutter nennt er einen der "besten Menschen der Welt".  "Niemand konnte so gut kochen wie sie, niemand war so verständnisvoll wie sie, sie war wunderbar", sagt er, und während er  von Sauerkraut, Blutwurst und Weihnachtsfesten schwärmt, verfällt er in Dialekt, und auch wenn seine Sätze etwas ungelenk klingen, weil ihm die Übung fehlt, sind sie für den Besucher aus Deutschland gut zu verstehen.

Man muss John nicht lange fragen, was er sich für die Zukunft wünscht. Und wer weiß, vielleicht ist gar nicht alles verloren. Sein zehnjähriger Enkel möchte gern Deutsch von ihm lernen. 

Die Sprachforscherin

Eine Amerikanerin hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Erbe der deutschen Sprache zu bewahren. Karen Roesch aus Texas erforscht die Dialekte, dafür reist sie quer durch die Staaten; ihre Arbeit gleicht  der Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. Und nicht selten muss sie dafür kurz entschlossen zu einer Reise aufbrechen, um die zu sprechen, die noch zu sprechen sind; die Zeit drängt, viele der Zeitzeugen sind weit über 80 Jahre alt. Dass Deutsch in den USA gesprochen wird, ist dabei nichts Ungewöhnliches; aber das ist nicht das, was Karen Roesch treibt. Sie sucht die Sprache derer, deren Vorfahren einst nach Amerika auswanderten, sie ist auf der Suche nach Schwäbisch, Allemanisch, Fränkisch, Westfälisch, Plattdeutsch, es geht ihr um die regionalen Dialekte, es geht ihr darum, wie sie sich mit den Jahrzehnten veränderten, wie sie sich zum Teil verselbständigten, wie daraus wieder neue Dialekt entstanden. Aus der Sprache lässt sich die Geschichte der Siedler ablesen, ist sie überzeugt; es ist ein großes Puzzle. Karen Roesch sagt: "Wenn die Sprache verloren geht, verliert sich die Geschichte." 

In eigener Sache

Die Frage scheint wesentlich, deswegen soll sie jetzt beantwortet werden: Ich fahre einen Nissan, Foto anbei.  Ja, ja, ich weiß, aber der Wagen fiel mir quasi zu; ein freundliches Entgegenkommen der Autovermietung. Ich hatte ursprünglich das billigste Modell gebucht, aber damit war ich offensichtlich nicht allein; die Autos waren vergriffen. Jetzt fahre ich mit einem soliden, zugleich aber hinreichend unoriginellem Langweiler durch die Gegend, und tiefergelegt ist der Japaner auch noch. Alles in allem also nicht eben das, was man sich für einen Trip durch die USA so vorstellt. In meinen Träumen sah ich mich in einem dieser Geländewagen offroad durch die Gegend bretten, auch wenn man das political-correctnismäßig natürlich nicht korrekt ist, aber alle fahren hier so rum, und hin und wieder macht das Sinn. Bei mir dagegen löste sich bei einem ersten Manöver übers Feld gleich ein Teil der hinteren Stoßstange; freundliche Menschen halfen bei der Reparatur. Heute nun das Problem vorn, über eine Lösung muss ich noch nachdenken. Am Ende der Reise werde ich wie aus einem Spot aus "Väter der Klamotte" mit quietschend schiefen Reifen beim Händler auftauchen, der Wagen ein Rudiment, der Händler den Tränen nah; er angesichts des Zustands seines Autos, ich angesichts der Rechnung. Es wird ein einsamer Moment.

Männerträume

 

Fremd im eigenen Körper

Auch wenn dieses Porträt nicht zum Siedler-Thema passt, ich möchte dennoch kurz davon erzählen. Es geht um Rachael, ich habe sie im Süden von Indiana getroffen, ein Treffen am Rand, im doppelten Sinn.

Weil mein Budget mal wieder etwas Entlastung vertragen konnte, buchte ich ein Zimmer via Airbnb, und das ist auch der Grund, warum ich sie kennen lernte. Rachael wohnt in einem Haus in Nashville (Indiana), was wiederum am Rand des Brown County State Park gelegen ist; im Herbst marschieren die Touristen in Armeen ein, weil sich hier die Natur mit dramatischen Farben in den Winterschlaf verabschiedet. Auch Rachael hat wie die meisten meiner Protagonisten deutsche Vorfahren, das aber sei hier nur am Rand erwähnt; sie hat eine andere Geschichte zu erzählen; sie handelt vom Fallen und Aufstehen, sie handelt von Verlust und von Einsamkeit, von der mühsamen Suche nach sich selbst.  

In ihrem früheren hieß Raechel Eric, sie war verheiratet, zusammen hatte das Paar drei Kinder, ein Foto zeigt sie als gut gebauten Mann mit beeindruckenden Muskeln, heute ist ihre Taille so schmal, dass man sie beinahe mit zwei Händen umschließen kann. Rachael wusste immer, dass sie anders war als andere, sie wusste aber nicht, wie dem Leben entfliehen, von dem sie sich eingeschlossen fühlte und das ihr die Luft zum Atmen nahm. Und so hielt sie in über zehn Jahren Ehe das Bild einer Familie aufrecht, das dem üblichen Muster entsprach. Mann, Frau, Kind. Aber so, wie mit der Zeit ihre Zweifel wuchsen, wuchs auch ihr Widerstand, und Schritt für Schritt suchte sie den Weg hinaus, sie bezahlte einen hohen Preis dafür. Ihre Beziehung ging in die Brüche, sie verlor Freunde und Teile der Familie, die Scheidung kostete sie das Haus, das sie gebaut hatte, bis heute ist jeder Tag für sie eine Herausforderung, nicht nur aus finanzieller Sicht. Und auch wenn sie für eine Versicherungsagentur arbeitet, sie selbst kann sich keine Krankenversicherung leisten.  Rachael lebt kein leichtes Leben. Sie weiß nicht, was richtig oder falsch ist, sie weiß nicht, wie sie das Glück findet, das sie sucht. Was sie aber weiß: Sie kann nicht anders.

"Ich wusste immer,
dass ich anders bin."

Tipps

  • Wer den Spuren der Siedler in Indiana folgen möchte, sollte etwa Oldenburg einen Besuch abstatten. Eine hübsche kleine Stadt mit großer Geschichte. Jedes Jahr im Juli findet dort das Freudenfest statt, "The Biggest Little German Festival in Indiana". 
    Mehr unter: http://www.franklincountyin.com/shopping/oldenburg/
  • Wer es größer mag, fährt nach Indianapolis, und die Stadt hat mehr zu bieten, als Formel 1; viel deutsche Geschichte nämlich. Im Athenaeum (Deutsches Haus) kann man nicht nur wunderbar Kaffee trinken oder essen; es beherbergt auch eine Ausstellung über die deutschen Einwanderer.
    Mehr unter: http://www.athenaeumfoundation.org

    Indianapolis übrigens gilt als eine Art Schmelztiegel deutscher Tradition, im angenehmen Sinn. 1850 etwa waren 12 Prozent der Einwohner Deutsche, im 19 Jahrhundert lag die Zahl bei 20 Prozent, und noch immer sind die Einflüsse überall zu sehen.  

Und ganz nebenbei: Friedhöfe sind stets eine gute Adresse - zumindest geschichtlich gesehen; die Friedhofs-Mitarbeiter wissen in aller Regel sehr gut Bescheid - und geben auch gerne Auskunft über Geschichte und Familienhistorie.