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Jemanden zu fragen, warum er dort lebt, wo er lebt, macht keinen Sinn. Er wird die Frage nicht verstehen.

Er wird sich nicht verstehen, wenn sein Fenster den Blick aufs Meer freigibt, er wird sie nicht verstehen, wenn sein Bett über den Dächern von Paris steht, er wird sie nicht verstehen, wenn sein Haus am Hang des Mount Everest  liegt.

Er wird sie aber auch nicht verstehen, wenn sich der Reiz nicht sofort erschließt. Wenn seine Terrasse etwa an eine staubige Straße grenzt, hin und wieder ein Auto, die Wolken als einzige Abwechslung.

Und so fuhr ich durch Iowa, ich dachte, wenn etwas einen so schönen Namen trägt, dann nicht ohne Grund. In meiner Vorstellung bestand das Land aus Weite und Wildnis, ich sah die Bilder aus Winnetou vor mir, ich freute mich auf das neue Unbekannte. Aber während ich sonst die Interstate meide, um möglichst viel vom Hinterland zu sehen, brach ich das Projekt nach den ersten Tagen enttäuscht ab. Es war egal, wo ich fuhr, es war egal, wohin ich fuhr, alles sah gleich aus. Es war flach, es war braun, es war - langweilig?

Warum lebt man hier, fragte ich mich, und ich sehnte mich zurück nach Dakota. Und als ich Clair Blong und Donna und Steve Story traf, stellte ich ihnen genau diese Frage.

Die Reaktionen waren immer gleich.  Sie verstanden mich nicht. Sie verstanden die Frage nicht. Sie sahen etwas in diesem Land, was ich nicht sehen konnte. 

Heimat verändert das innere Maß. 

Iowa - Herzenssache

Iowa fordert also heraus; und die Liebe der Menschen muss ziemlich ausgeprägt sein, um hier zwischen den endlosen Felden zu verharren. Und dass die Felder endlos sind, belegen auch auch die Zahlen. 92 Prozent der Landes sind der Landwirtschaft verschrieben, den Rest teilen sich die Städte Des Moines, Cedar Rapids, Davenport, Sioux City und Iowa City - das war's dann weitgehend. An Spott mangelt es deswegen nicht. "I am from Iowa lets get drunk" ist einer von vielen Sprüchen, den sich der Staat gefallen muss, selbst prominente Stimmen halten sich kaum zurück, selbst, wenn sie dort aufgewachsen sind wie etwa Autor Bill Bryson, der wissen lässt: "Als ich älter wurde, sagte ich mir, dass es zumindest ein Gutes hat, in Des Moines geboren zu sein. Es bedeutet, nicht anderswo in Iowa auf die Welt gekommen zu sein." Und doch hat Iowa mehr zu bieten: So nahm das Land in seiner Geschichte  stets eine Pionierrolle bei den Bürgerrechten ein; die Sklaverei wurde hier bereits 1839 verboten; Rassentrennung gibt es hier seit 1868 nicht mehr, während sich das oberste Gericht der USA dazu erst im Jahr 1954 durchringen konnte. Und: 1872 wurde in Iowa die Todesstrafe abgeschafft, zumindest erstmals, dann gab es 1878 einen Rückfall, 1965 besann man sich dann aber wieder eines Besseren. Insofern gilt: Mit dem Herzen sehen statt mit dem Auge urteilen!  

Einer der berühmtesten Söhne ist übrigens John Wayne (bürgerlicher Name Marion Robert Morrison); er ist in Winterset aufgewachsen, er soll nicht unzitiert bleiben:

                                       "Tomorrow is the most important thing in live.
                       Comes into us at midnight very clean. It's perfect when it arrives 
                                      and it puts itself in our hands. It hopes
                                       we ha've learned something from yesterday."

Davenport

Die Deutschen im Museum

Davonport selbst nennt sich  "The Most Livable Small City in America". Die Stadt am Ufer des Mississippi ist nicht nur Heimat für knapp 100 000 Menschen, für viele Deutsche wurde sie im Laufe des Jahrhunderte  zur Anlaufstelle. Im "German American Heritage Center" lässt sich die Geschichte gut nachverfolgen; untergebracht ist das Ganze auf historischem Grund; Mitte der 1860ern beherbergte das Haus ein Hotel für die Ausgewanderten (2. Foto zeigt eines der Zimmer) - und Anliegen der Historiker ist es nun, das Erbe zu sichern. Aktuell gibt es eine Ausstellung über die anti-deutsche Bewegung in den USA während des ersten Weltkrieges, und während es sich inzwischen rumgesprochen hat, dass Deutsche in dieser Zeit misshandelt und unterdrückt wurden; es war verboten, deutsch zu sprechen, deutsche Straßennamen wurden umbenannt, deutsche Zeitungen wurden eingestellt usw. usw. , listet das Museum auch weniger bekannte Dinge auf, wie Nachbarn etwa Nachbarn anschwärzten, wie Nachbarn Nachbarn tyrannisierten,  er wird gezeigt, wie auch im Kleinen der Hass um sich griff. Versöhnliche Töne einen Raum weiter: Über das gute Zusammenleben miteinander. Über die Erfolge der Deutschen. Und zum Abschluss vielleicht noch eine Zahl: 52 Prozent aller Einwohner Iowas geben heute an, deutscher Abstammung sein. 

Kurz-Porträt I

Der Präsident

St. Lucas ist ein kleiner Ort im nordöstlichen Zipfel von Iowa; wer dorthin will, passiert aus dem Norden kommend den Turkey River, kommt vorbei an Fort Atkins, und wenn man die Main Street hügelaufwärts fährt, findet man sich an einem Platz wieder, der von flammendrotem Ahorn gesäumt ist. Das Handy hat hier keinen Empfang, aber das hat es auch sonst kaum in Iowa. Wen es hierher verschlägt, der kommt, um der Kirche St. Luces einen Besuch abzustatten, manch einer kommt aber auch wegen des American-German-Museums, es ist in einer ehemaligen Schule untergebracht und beherbergt heute die Geschichte des Ortes. Und so finden sich viele private Familienfotos in den Vitrinen, verschiedene Haushaltsgegenstände, unzählige Bücher - und die meisten davon sind in deutscher Sprache. 

Clair Blong ist so etwas wie der Hausherr, er ist der President of the Historical Society in St. Lucas, und auch wenn sein Name zunächst etwas anderes vermuten lässt, er hat deutsche Vorfahren; der Großvater seiner Mutter kam aus Hochhausen nahe Tauberbishofsheim, er kam Mitte 1850, und er kam nicht allein. Eine ganze Gruppe von Deutschen ließ sich hier Mitte des 19. Jahrhunderts nieder, sie waren Farmer, sie suchten Land, sie hofften auf ein besseres Leben. Und mit den Jahren entwickelte sich erfolgreich eine kleine deutsche Gemeinschaft. Man vertraute sich, man wollte unter sich sein, man hielt das für wichtig. Und man sprach natürlich deutsch, und Clair erinnert sich noch sehr gut, wie es selbst in seiner Klasse noch Mitschüler gab, die kein Englisch konnten. Clair ist heute 75 Jahre alt. 

Er selbst ist hier zur Schule gegangen, er ist hier aufgewachsen, und wenn er auch viele Jahre seines Lebens in Maryland, Virginia oder später in Colorado verbrachte, am Ende kehrte er doch zurück, er sagt, es seien die Wurzeln. Und so wie er sich mit all dem hier verbunden fühlt, ergeht es den meisten in St. Lucas. Und während in anderen Gegenden Vereine darüber klagen, nicht genügend Freiwillige gewinnen zu können, klagt Clair darüber, dass er im Museum nicht genügend  Arbeit für all die Interessierten hat, um sie zu beschäftigen. Ende September feierte man hier ein Oktoberfest  - es gab Kartoffelsalat und Sauerkraut, 175 Männer und Frauen kamen. Das Dorf zählt 143 Einwohner. Es wurde ein großer Erfolg.

Clair sagt über seine Arbeit für die Society: "Ich möchte der Gemeinde das zurückgeben, was sie für mich getan hat." Er fühlt sich der Gemeinschaft verpflichtet. 

"Why I do this?
It's a payback to this community."

Kurz-Porträt II

Von der Nordsee nach Iowa

Die Welt ist tatsächlich ein Dorf - und in Iowa führen ihre Wege zusammen. Sie beginnen in einer Zeit, als Husum und Bredstedt an der Nordsee noch dänisch waren, sie nehmen ihren Lauf durch die Geschichte, sie  mäandern durch die USA, von dort durch den Mittleren Westen und führen auf eine Farm irgendwo zwischen Iowa und Minneapolis.

Donna Story steht in ihrem Wohnzimmer, sie trägt ein Shirt mit einem großen roten Herzen darauf - und mit ähnlich großer Herzlichkeit nimmt sie einen in Empfang. An ihrer Seite Steve, sie waren Schüler als sie sich verliebten. Und obwohl die beiden in den USA aufgewachsen sind, verbindet sie Deutschland doch in besonderer Weise. Steve ist der Mann, dem viele Studenten einen Gastaufenthalt in den USA und umgekehrt verdanken; und Donna ist dem Land familiär verbunden.

Ihre Urgroßmutter stammt aus Bredstedt, ihr Mutter ist in Husum aufgewachsen, und als die Familie 1923 von der Nordsee auswanderte, trug sie in den Taschen auch das Eiserne Kreuz, das Donnas Großvater für seine Dienste im Ersten Weltkrieg bekam. Dass dessen Sohn wenige Jahre später im Zweiten Weltkrieg als amerikanischer Soldat gegen die Deutschen kämpfen wird, das ahnte damals noch niemand, man kann das wohl Ironie des Schicksals nennen.

Steve ist so etwas wie der Mittler zwischen den Welten; man schrieb das Jahr 1979, als er, damals Schuldirektor, zusammen mit einer Kollegin eines der ersten Schüleraustauschprogramme zwischen Deutschland und den USA organisierte; zunächst zwischen West Union in Iowa und Überligen, und weil das Projekt aber so erfolgreich war, weitete man es über andere Städte aus, später kamen noch Partnerschaften mit England und Spanien hinzu.

Steve sagt: "It was  absolutly successful. Die amerikanischen Studenten liebten Deutschland, die Deutschen liebten Amerika." Donna sagt: "Wir haben die Beziehungen immer genossen." Zusammen mit ihrer Zwillingsschwester besuchte sie in den 1980ern Husum, den Ort, an dem ihre Mutter aufgewachsen ist. Sie sahen das Haus, sie sahen den Bahnhof, ihr Großvater fuhr von hier zur Arbeit, und sie gingen nach Bredstedt, dem Geburtsort ihrer Großmutter.

Donne und Steve sind heute 84 Jahre alt. Sie sind 64 Jahre verheiratet, sie haben drei Kinder und elf Enkel.  Sie sind dankbar für alles, sie blicken auf ein reiches Leben zurück. 

Kurz-Porträt III

Der Geschichte verpflichtet

Schon als Kind hatte er, wie es seine Mutter umschreibt, dieses  "unnatürliche Interesse" an Deutschland. Bereits als Vierjähriger beschloss er, nach Deutschland zu gehen, er quengelte, er drängte, und als er 16 Jahre alt war, ließen seine Eltern ihn endlich ziehen. Allerdings war es ein Besuch mit eher zweifelhaftem Ergebnis. Kory Darnall landete auf einer amerikanischen Militärstation in Darmstadt bei einer Gastfamilie, hin - und wieder gab es einen Spaziergang, das war alles, was er von Deutschland sah.

Weil das aber nicht alles gewesen sein konnte, startete er einen zweiten Versuch, er ging für drei Monate ans Goethe-Institut nach Murnau, er lernte Deutsch, er wollte nicht mehr weg.  "Es war, als wäre ich zu Hause", sagt er, und er erinnert sich noch gut an diese Zeit, in der er das Gefühl hatte, schon viele Millionen Mal vor Ort gewesen zu sein; "es war wie ein Deja-vu, nur 100 Mal stärker."

Das Ganze ist jetzt knapp 40 Jahre her, die Verbundenheit zu Deutschland aber ließ ihn nicht los. Zusammen mit Gleichgesinnten gründete er in Davenport das German-Heritage-Center, er ist der Präsident der Davenport Schützenpark Gilde, er kümmert sich um die Restauration deutscher Kriegsgräber. Und obwohl er selbst deutsche Vorfahren hat - sie waren einst von der Pfalz nach Amerika ausgewandert -, ist es genau der Teil der Geschichte, der ihn am wenigsten interessiert. Er sagt, er weiß, wo er herkommt.

Und so kümmert er sich stattdessen also um die Vergangenheit anderer, etwa um die Deutschen, die im Bürgerkrieg gefallen sind. Er sammelt Geld dafür, er lässt die Grabsteine restaurieren, er gibt den Toten einen Namen, und wenn man ihn fragt, warum er das alles tut, nennt er dafür zwei Gründe: Weil sonst niemand mehr da ist, der es tun könnte. Und weil er sich dem Erbe verpflichtet fühlt. 

Angemerkt

Die Deutschen und der Bürgerkrieg

Im Buch "Die Geschichte der Deutschen in Amerika" taucht Iowa erst gar nicht auf, und das ist insofern erstaunlich, weil die Deutschen etwa im Bürgerkrieg (1861 - 1865) eine entscheidende Rolle spielten - so stellten sie etwa die größte Gruppe ausländischer Soldaten, viele von ihnen kämpfte freiwillig, viele von ihnen starben. So war der erste Offizier, der aus Iowa in den Krieg zog und sein Leben verlor, der Deutsche August Wentz; der erste Soldat, der starb, war ebenfalls Deutscher; Hans J. Nehm.

Insgesamt kämpften etwa eine halbe Millionen Deutsch-Amerikaner für die Nordstaaten - und zum Teil standen sie Landsleuten gegenüber, die sich auf die Seiten der Konföderierten gestellt hatten, sie waren meist über den Süden nach Texas eingewandert. Die deutsch-amerikanischen Turner- und Schützenvereine gehörten übrigens zu den ersten Freiwilligen, die sich zu den Truppen meldeten, sie kämpften mit großem Enthusiasmus - aus Patriotismus oder aus dem Wunsch heraus, als Amerikaner anerkannt zu werden.

Tipps

  • Wer mehr über das "German American Heritage Center & Museum" in Davenport wissen will:
    http://gahc.org


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