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Bunte Republik

Bukowinadeutsche. Russlanddeutsche. Wolgadeutsche. Karpatendeutsche. Bulgariendeutsche. Donauschwaben. Deutsche aus Amerika. Amerika-Deutsche. Das Feld ist weit, und je länger ich durch die USA reise, desto mehr verschieben sich die Grenzen. Es gibt nicht ein Deutschland, lerne ich, es gibt viele, und jeder verbindet etwas anderes damit; andere Traditionen, andere Werte, andere Erinnerungen. Die deutsche Heimat in Jugoslawien. Die deutsche Heimat in Kroatien. Buchen. Berge, Seen, Steppe, Weite. Bunte Republik Deutschland. Und auch wenn die geographischen Linien gezogen sind, es gibt kein richtiges oder falsches Deutsch, es gibt kein Deutscherdeutsch, die Zeiten sind zum Glück vorbei. Und so sind auch alle Klischees, die damit einhergehen, so hilfreich oder nützlich wie Horoskope. Der Steinbock ist störrisch? Die Waage wagend?  Der Deutsche  ordentlich? Pünktlich? Humorlos? Der Mensch ist individuell. Seine Eigenschaften sind es. Seine Vorlieben. Seine Träume, seine Wünsche. Und jeder sieht in der Heimat eben etwas anderes. Mal sind es Freunde. Mal Familie. Mal Plätze. Mal Gerüche. Mal Landschaften. Der Mensch ist individuell. Heimat ist individuell. Heimat ein Gefühl. Heimat ist dort, wo das Herz ist. - Und nicht selten wandert es.

                              "Home is where the heart is,
                           and Snippe's heart was a traveler "

                                  (aus "Singleton Snippe. Who Married for a Living", Joseph C. Neal)

Und manchmal verliert man sein Herz. In Kansas kann das leicht in den Flint Hills geschehen. Eine Art Mittellandschaft im Süden. Zu feucht für eine Wüste. Zu trocken für einen Wald. Biotop für Hunderte von Wildblumenarten, Zuhause für 150 verschiedene Vogelarten. Und selbst, wenn nichts blüht, hat das alles seinen Reiz.

Zauberer von Kansas

Nebraska wurde mit "Nebraska" ein filmisches Denkmal gesetzt, ein Roadmovie (2014) über das trostlose Leben in der US-Provinz; bissig, ironisch - und in seiner Ehrlichkeit herzergreifend. Kansas dagegen verbinden die meisten in den USA mit "Superman" und dem "Zauberer von OZ" - hier: "The Wizard of Oz", in dem das Mädchen Dorothy von einem Wirbelsturm aus Kansas fortgerissen wird, der Rest ist Geschichte.

Kansas selbst nennt sich der Weizenstaat, als geographische Besonderheiten gelten: Farmland und Prärie im Zentrum, Hügellandschaften im Osten und Westen, und jeder darf sich ausmalen, was das bedeutet. Außerdem kreuzen sich hier gleich mehrfach die Routen aus der Pionierzeit, und das ist auch der Grund, warum es alle Meter historische Gedenktafeln zum Thema gibt.

In Kansas siedelten sich im Laufe der Jahrhunderte viele Gruppen an, darunter Wolgadeutsche, Bukowinadeutsche, Schweizer und auch Hannoveraner; die wiederum ließen sich im Norden nieder und gründeten die kleinen Gemeinden Hanover und Bremen. Im Norden auch zu finden: die "Hollenberg Station", gegründet von Gerat H. Hollenberg aus Hannover. Dabei handelt es sich um eine Farm und ein Handelsposten, der westwärts ziehende Siedler ausrüstete und zugleich Pferdewechselstation des Pony Express war. 

Lebanon

The middle of America

Der Höhepunkt ist der Mittelpunkt; und zwar genau hier: im Fadenkreuz von Highway 281 und Highway 36 in Smith County, ‎39° 49′ N, 98° 33′ W.  Hier trifft sich alles,  hier wird alles eins, ein Land, ein Staat, 48 Staaten. Von hier ist es in den Westen genauso lang wie in den Osten, wie in den Norden, wie in den Süden. Es ist die geographische Mitte von der Mitte, rechts eine Farm, links eine kleine Kirche, das Örtchen Lebanon mit seinem Dorfkonsum und den vereinsamten Straßen ein paar Minuten entfernt, und hier zu stehen, etwas  verloren in dieser ganzen Bedeutung, ist ein irgendwie sonderbares Gefühl. Und wenn in diesem Augenblick nicht ausgerechnet Schneeregen und Wind über den Platz jagen würden, wäre der richtige Moment, mal eben das Tempo aus der Tour zu nehmen und die Tage Revue passieren zu lassen.

"Heads up. What color is the sky today?" Gute Frage. Weiter geht's. 

Kurz-Porträt I

Der Professor

Er war noch keine acht Jahre alt, als er bei seinen Großeltern in Missouri in der guten Stube alte Schallplatten fand, und als er sie abspielte, war er gefangen in seiner Faszination. Er spielte die Scheiben wieder und wieder, sie zogen ihre Kreise unter der alten Holznadel, sie knirschten, sie knackten, sie spielten das "Deutschlandlied" und die "Wacht am Rhein". Und als der Junge zur Schule kam, war klar, was er wollte, er wollte Deutsch lernen.

Etwas weniger als 70 Jahre später sitzt William Keel, den alle Bill nennen, im Max-Kade-Gästehaus auf dem Gelände der University of Lawrence, Kansas, er hat sich seine Wünsche erfüllt. Er ist Professor of German, er hat etliche Aufsätze zum Thema geschrieben; in Fachkreisen ist sein Name unmittelbar mit dem Thema germanistische Sprachwissenschaften verbunden; vor allem geht es ihm um die alten Dialekte der Einwanderernachkommen. Und während es in Kansas und Missouri etwa vor wenigen Jahrzehnten noch einige Tausend Menschen gab, die so sprechen konnten, wie es ihre Vorfahren taten, schrumpft die Zahl dramatisch, das ist der Lauf der Dinge, der Lauf der Zeit; doch während die meisten von Keels Kollegen den 1. Weltkrieg und die damit verbundenen Repressalien gegen Deutsche in den USA verantwortlich machen, hat  er dazu seine eigene Theorie. Nicht das damals geltende Verbot, Deutsch zu lehren, Deutsch zu sprechen, Deutsch zu schreiben, sei dafür verantwortlich; die Mobilität und die Schulbildung seien die maßgeblichen Gründe, sagt er. Während früher nur ein verschwindet geringer Teil die Schule besuchte habe, änderte sich das später; unterrichtet wurde in Englisch, und mit dem Auto erweiterte sich Radius der Menschen; der kleine geschlossene Kreis der Gemeinschaft brach auf, neue Einflüsse veränderten die Strukturen - und damit die Sprache. 

Bill selbst spricht nahezu perfekt Deutsch; und seine Liebe zu dem Land hat sich seit  seinen Kindertagen nicht verändert, und das hat natürlich Gründe. Sein Ururgroßvater war einst aus der Schweiz nach New York über Basel ausgewandert. Außerdem sind im Stammbaum zu finden: Hessen, Sachsen, Franken.

Auch er ist an die 50 Mal in Deutschland gewesen; regelmäßig begleitet er Studenten auf ihren Sprachreisen  in den Süden, in den Norden, zusammen mit Kollegen organisierte er vor beinahe 30 Jahren die Städtepartnerschaft zwischen Lawrence und Eutin. "Das Leben ist eine Suche nach dem Sein", sagt er. "Man kann das nur aus der Geschichte erfahren."

Am Ende führt eben alles wieder zusammen.

"Das Leben ist eine Suche
nach dem Sein." 

"Ich bin heimatlos.
Ich bin überall zu Hause."

Kurz-Porträt II

Der Zeitreisende

Er führt ein Leben zwischen den Welten, zwischen den Zeiten: Oren Windholz, 76 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Hays, verheiratet, Vater von zwei Söhnen; 25 Jahre verantwortlicher Geschäftsführer eines Hospitals, inzwischen verrentet, leidenschaftlicher Golfspieler, Tromperspieler. Geschichtsreisender.

Auf dem Schreibtisch vor sich hat er einen Kaffee stehen, er holt kurz Atmen und dann taucht er wieder ein in die Geschichte. Erzählt von der Heimat seiner Großeltern, seiner Urgroßeltern, seiner Ururgroßeltern; erzählt von einem Land, in dem die Buchen wachsen, die Frauen ihre Zöpfe flechten, die Männer spielen Akkordeon, und Sehnsucht ist in ihren Liedern. Die Bukowina, sagt er, das ist weit weg, weiter als der Mond, und doch ist das Land ihm nahe. Und seine Sätze tragen ihn an die Wolga, zum anderen Teil der Familie; dorthin, wo im 18. Jahrhundert Katharina von Russland einen Werbefeldzug startete; den Deutschen versprach sie das Goldene vom Himmel, und sie kamen, sie brachten ihre Traditionen mit und ihre Sprache. Die Jahrzehnte gingen ins Land, die Welt schien in Ordnung da draußen am Schnittpunkt zwischen Mittel-Ost- und Südeuropa, doch dann begannen mit den Kriegen die Kapitel der Verfolgung, der Verschleppung, der Vertreibung; und so machten sich die Menschen wieder auf die Reise; wieder lockte ein Versprechen; freies Land, freier Glaube; und alles zusammen ist nun der Grund, warum Oren Windholz jetzt hier im Herzen von Kansas sitzt; er, ein Mann zwischen den Welten, die Bukowina, die Wolga - alles weit entfernt, weiter als der Mond.

Zweimal ist er in Deutschland gewesen, sagt er, und einmal trug es ihn von dort bis in den Teil seiner Welt, den es nicht mehr gibt, die Bukowina, das Land der Träume, das historische Land zwischen Rumänien und der Ukraine.

1988 gründete Oren zusammen mit Gleichgesinnten die Bukowina-Society in Hays. Ein Jahr später feierten sie ein großes Fest, die Frauen trugen geflochtene Zöpfe, die Männer spielten Akkordeon, und Sehnsucht war in ihren Liedern.

  • Oren über die
    Heimat der Vorfahren:
  • Über den
    Kontakt zur Familie:

Kurz-Porträt III

Die Geschichte von Adam und Maria

Als Adam und Maria 1893 das Schiff in Bremerhaven bestiegen, kamen sie nicht allein. Sie brachten ihre sechs Kinder mit, ein nächstes war bereits unterwegs; und um die Passage zu ermöglichen, hatte die junge Familie alles verkauft, was sie sich zu Hause in der Bukowina mit Hilfe ihrer Farm erarbeitet konnten. 800 Dollar hatten sie in ihren Taschen, es musste für den Neuanfang reichen. Was sie zurück ließen? Freunde, vertraute Landschaft, Heimat. Was sie erwartete? Sie wussten es nicht. Und als sie Wochen später Kansas erreichten, war nicht nur eine weitere Tochter geboren worden, mit jedem Meter war in ihnen auch die Hoffnung auf eines besseres Leben gewachsen.

Beinahe 125 später sitzt ihre Ururenkelin an einem großen Tisch der Bukowina-Society in Hays; vor sich hat sie die Familienchronik aufgeschlagen, sie lacht, sie erzählt, sie ist guter Dinge. Man muss Marcy Mcclelland nicht fragen, was ihr die Familie, was ihr die Tradition bedeutet. Die Geschichte liegt über dem Raum, sie ist in den Vitrinen ausgestellt; Bilder, Fotos und Dokumente hängen an den Wänden. Marcy vertritt die inzwischen vierte Generation in Amerika; sie ist längst selbst Großmutter, die älteste Enkelin ist 27 Jahre Jahre alt; und Kansas ist ihre Heimat, wie sie sagt, sie kann sich keinen anderen Platz vorstellen. Doch während andere nichts unversucht lassen, sich auf die Spuren der Vorfahren ins "Old Country zu begeben, gibt sie sich mit den Gegebenheiten hier zufrieden. Es reicht ihr, was sie weiß, sagt sie,  sie bewahrt die Geschichten in ihrem Herzen, und zu Hause liegt die deutsche Bibel der Eltern im Schrank. 

Als Adam und Maria Kansas erreichten, erhielten sie ein Stück Land, sie versuchten das Beste daraus zu machen, sie bauten ein Haus, drei weitere Kinder wurden geboren - im Familienkreis nannte man sie  "the Americans".  

  • Marcy über
    Kansas:
  • Über die
    Bukowina:
  • Über
    Traditionen: 

Tipps

  • Mehr über die Emigration der Deutschen von Bukowina nach Amerika:
    William Keel and Kurt Rein: "German Emigration from Bukovina to the Americas". 

Momente