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Der Himmel über Missouri

In Missouri ausgerechnet lässt mich das Wetter im Stich; Wolken, wo Berge sein sollten; hartnäckig halten sie sich über die Tage, schwerer Regen am Morgen, Nieselregen am Mittag, schwerer Regen am Abend; das Programm nervt, und statt endlich mal die Beine etwas mehr zu bewegen als die drei Meter bis zum Auto, beoachte ich die Tropfen an der Windschutzscheibe wie sie erst langsam und dann mit Tempo nach unten hin beschleunigen. Der Trick besteht darin, Regenbahnen so zu bauen, dass sie sich nicht miteinander kreuzen. Welcher Tropfen zuerst unten ankommt, hat gewonnen. Missouri sagt herzlich willkommen. 

Es geht aber auch anders; und nachdem ich mich hinreichend dem Selbstmitleid hingegeben habe, reißt  irgendwann dann tatsächlich der Himmel wieder auf; für ein paar Stunden wandere ich mit großem Hasenherzen durch den Roaring River State Park; der Hinweis, Vorsicht Bären, achten sie auf ihre Kinder, ist nicht eben das, was man sich als Mädchen-Reisender so wünscht; und weil ich irgendwo mal gelesen habe, dass man sich in Fällen wie diesen in der Wildnis laut bewegen soll, stampfe ich wie ein Soldat vor der Berliner Mahnwache durch den Wald. Nach einiger Zeit aber scheint mir das nicht mehr effektiv genug und so baue ich mir aus einem Ast einen Stock und schlage ihn alle Meter gegen die Bäume. Sollte es in diesem Wald jemals einen Bären gegeben haben, er dürfte jetzt mit Hasenherzen in seiner Höhle sitzen. Der Arme.

Während ich das hier schreibe, feiert Amerika gerade Thanksgiving; mutterseelenallein sitze ich im Hotel, statt Truthahn gibt es aus der Mikrowelle aufgewärmtes Fladenbrot, die Aircondition brummt; im Fenster spiegelt sich rote Neonreklame, nur: so schlimm ist das alles gar nicht. Die Tage sind leicht zu ertragen. Ich liebe die Stille, ich liebe dieses Dümpeln über die Straßen, die Landschaft zieht vorbei; mal mit Musik, meist ohne, das Schönste ist die blaue Stunde am Abend.

Alleinreisen ist nicht schlecht. Einsamkeit lässt sich gut ertragen, wenn man weiß, dass man nicht alleine ist.

Sklavenstaat

Missouri war ein Sklavenstaat und wollte sich eigentlich im Bürgerkrieg der Südstaatenkonföderation anschließen. Im Wesentlichen aber verhinderten das die Deutschen;  in St. Louis allein machten sie ein Drittel der Bevölkerung aus. In der Stadt war damals auch die „Westliche Post“ beheimatet, die größte deutsche Zeitung in den USA im 19. Jahrhundert.

Als Chefredakteur arbeitet Carl Schurz aus dem Rheinland. Schurz war 1848er Revolutionär, er wurde zu einem der maßgeblichen Führer der Deutsch-Amerikaner, später trug er entscheidend zur Nominierung Abraham Lincolns zum Präsidentschaftskandidaten bei. Schurz war außerdem Botschafter in Spanien. General im Bürgerkrieg, Senator von Missouri und Innenminister der USA unter Präsident Hayes. Und der Ehemann von Margarethe Meyer-Schurz, die Frau, die den Kindergarten in die USA brachte, war er auch.

Fragt man nach den Gründen der Auswanderung, wird ein Name immer wieder genannt: Goffried Duden. Fünf Jahre hatte er in Missouri gelebt, und nach seiner Rückkehr veröffentlichte er 1829 ein Buch über seine Erfahrungen mit dem knackigen Titel: "Bericht über eine Reise nach den westlichen StaatenNardamerias. . ." Das Buch hat Tausende beeinflusst, ein Bestseller.

Mark Twain everywhere

Schnell noch ein Satz zu Missouris berühmtesten Sohn: Mark Twain ist in Hannibal aufgewachsen, einer Stadt am Mississippi, und sein Name trägt einen durch das Land. Mark Twain Hotel. Mark Twain Museum. Mark Twain School. Mark Twain Forrest. . .

Und apropos: Wer aus dem Norden kommend in den Forrest möchte, landet in Hermann - eine Kleinstadt, die im 19. Jahrhundert von Deutschen gegründet wurde; einige der Einwohner spezialisierten sich auf den Weinanbau, und während mit der Prohibition das Geschäft zum Erliegen kam, besann man sich in den 1960er Jahren wieder auf die Tradition, gelegt wurde damit  der Grundstein für ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Heute umfasst das Gebiet sieben Weinanbaubetriebe, und im Strehly House kann man sehen, wie die Emigranten damals lebten.

Kurz-Porträt I

Der Künstler

"Hier snackt wi Platt" steht über den Gedenksteinen, darunter die Namen derer, die einst im 19. Jahrhundert aus Niedersachsen ausgewandert waren; sie kamen aus Hannover, aus Gifhorn, aus Osnabrück; hier in Missouri bauten sie sich ein neues Zuhause.

Ein paar Schritte weiter finden sich die Namen ihrer Erben; einer davon; Neil Heimsoth, Maler, Sänger, Künstler. Lebenskünstler. Die Händen in den Hosentaschen versengt steht er vor den in Mamor geschlagenen deutschen Stadtwappen; vor dem Segelschiff von Ammerlich, dem Löwen von Celle, dem Pferd von Helmstedt - und so geht es immer weiter; es ist ein mit viel Sorgfalt gestaltetes Monument, hier im Herzen von Cole Camp, im Herzen von Missouri.

Neil Heimsoth lacht, er hat gute Laune, die Dinge laufen so, wie er es sich wünscht; er hat das Denkmal entworfen, er gehört zu den Intitiatoren, und ohne ihn, das lässt sich ohne Übertreibung sagen; wäre die deutsche Denkmalpflege hier im Benton County eine andere.

Cole Camp gilt als niederdeutsche Hochburg, eine kleine deutsche Außenstelle mit gerade mal etwas über 1000 Einwohnern. Neil ist der Präsident des deutschen Clubs, er ist der Manager des deutschen Chors,  es gibt im Ort einen Maibaum, es gibt ein deutsches Restaurant, es gibt eine deutschen Männerchor, einen deutschen Frauenchor, und wegen allem zusammen kommen die Touristen.

Neil selbst ist nur wenige Autominuten von hier aufgewachsen, und besucht man die Friedhöfe in der Gegend, trifft man überall auf die Gräber seiner Vorfahren. Sein Urgroßvater stammt aus den Nähe von Verden;  und der Stolz auf das Erreichte, der Stolz auf die Herkunft, das pulsiert in seinen Adern, und das ist auch der Grund, warum sich für einen Moment ein Schatten über seine Laune legt.

Auch Cole Camp wird eingeholt vom Lauf der Dinge; die deutsche Tradition, die sich lange einem Bollwerk gleich gegen die Zeit stemmte, bekommt Risse. Die Clubs klagen über Nachwuchssorgen, das Interesse bei der Jugend bleibt aus, und Neil befürchtet, dass er der letzte Präsident des deutschen Clubs sein wird. "Ich bin froh, dass wir das Denkmal noch rechtzeitig realisiert haben", sagt er.

In wenigen Tagen lädt Cole Camp zum Christkindlmarkt. Der Chor singt deutsche Lieder. In der Main Street steht der Weihnachtsbaum. Die Frauen backen Plätzchen. Es wird sein wie immer. Wie fast immer.

  • Neil über sprachliche
    Missverständnisse
  • Über das
    Plattdeutsche
  • Über die Suche
    nach den Vorfahren
  • Über den
    Krieg

Kurz-Porträt II

Die Urenkelin

Es sind Zeugnisse einer anderen Zeit, Dokumente einer langen Reise: Cheryl Bronn hat die Unterlagen vor sich auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet - mit Andacht blättert sie daran; dann legte sie sie so vorsichtig beiseite - so als wären sie aus Glas; man sieht, man spürt, wie wichtig ihr die Dinge sind. Die Papiere gehören ihrem Urgroßvater; er vererbte sie an seinen Sohn, der an seinen, und als Cheryls Vater 1995 verstarb, übernahm sie die Stücke, 166 Jahre Familien-Geschichte.   

"My walk of Life" nannte ihr Urgroßvater seine Notizen; er schrieb darin, wie er 1851 Deutschland verließ, um sich im fernen Amerika ein neues Leben aufzubauen, und in einem schmalen engebundenen Buch hielt er seine Zeit als Lehrling in einer Möbelwerkstatt fest, darin präzise und mit sauberer Handschrift aufgelistet, was er zu welcher Zeit fertigte und zu welchem Preis er die Dinge später verkaufte.

Wie so viele andere vor und nach ihm, hatte er das Schiff in Bremerhaven genommen; in New Orleans ging er Wochen später an Land, in Missouri schließlich ließ er sich nieder.  "Ich bin ihm dankbar für das, was er auf sich genommen hat", sagt sie, und sie sagt auch, wie sehr sie es bedauert, nicht viel früher die Fragen gestellt zu haben, die sie heute bewegen. Nun sei es leider zu spät; all die, die hätten Antwort geben können, seien inzwischen nicht mehr da, vor drei Jahren starb ihre Mutter.

Cheryl spricht mit leiser, zögerlicher Stimme; sie selbst ist nur wenige Meilen von dem Ort aufgewachsen, in dem alles begann; den Mittelpunkt in ihrer Geschichte bildet Freistatt, ein handtuchgroßer Ort (163 Einwohner) im Vierländereck Missouri, Oklahoma, Kansas und Arkansas. Bis heute ist die Gemeinde von der deutschen Geschichte geprägt; Auswanderer aus Ostpreußen und Pommern besiedelten damals die Region, und auch wenn sie unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften angehörten; bis heute sind die Traditionen lebendig; so gibt es jedes Jahr ein "Erntedankfest" - und es wird tatsächlich auch genau so geschrieben.  

Cheryl bewahrt die Notizen ihres Urgroßvaters in einem Safe auf. Und mit viel Sorgfalt stellte sie eine Chronik zusammen, darin Fotos der Familie, Heiratsurkunden, Geburtsurkunden; alte Postkarten aus Deutschland, alte Zeitungsausschnitte - und über einer Seite steht geschrieben - "The ties that bind". Die Bande, die verbinden.

  • Cheryl über das
    emotionale Erbe
  • Über ihre Gefühle, als sie 
    die Briefe ihres Urgroßvaters fand

Kurz-Porträt III

Der Volksmusiker

"Die Tränen fließen in dieser Abschiedsstunde", schreibt die Mutter; sie ahnt, dass sie ihre Tochter nie wieder sehen wird; eine letzte Umarmung, ein Kuss, auf Nimmerwiedersehen.

Terry Loehnig kann die Zeile auswendig; und in seinen Gedanken sieht er die Frau, wie sie im Licht der Kerzen die Zeilen auf einer Karte niederschreibt, er sieht ihre Tränen, er sieht, wie sie Stunden später ihrer  Tochter hinterher winkt, wie sie das Mädchen mit den Augen verfolgt, als es im sächsischen Meißen die Straße herunter geht, in den Armen das jüngste Kind, gerade erst acht Monate alt. Es ist das Jahr 1859, es ist das Ende von allem, es ist der Anfang von allem.  Das Baby heißt Oscar.

Es ist die Geschichte von Terrys Urgroßvater, und er erzählt sie mit bewegter Stimme.  Erzählt, wie aus  Oscar später ein erfolgreicher Geschäftsmann wurde; in Hermann, Missouri, gründet er die Winzerei "Oscar Loehning Company"; seine Weine werden berühmt bis über die Landesgrenzen hinaus, und als Oscar zusammen mit seiner Frau Caroline Goldene Hochzeit feiert, widmet ihm die Lokalzeitung den Großteil der Titelseite.

Terry selbst ist Farmer, wie sein Vater, wie sein Großvater ist er in Hermann aufgewachsen, und während andere Geschichte als Gegebenheit nehmen, versucht er ihr so nah wie möglich zu kommen. Deutschland nimmt einen wichtigen Platz in seinem Herzen ein, er verbringt dort jedes Jahr Teile seines Urlaubs, und zusammen mit seiner Frau hat er eine Kapelle gegründet; sie heißt die "Leoning German Band"; sie singen deutsche Volkslieder, sie tun es mit einem beeindruckendem Enthusiasmus. Terry sagt: "Wenn ich Deutsch spreche, habe ich das Gefühl, meine Vorfahren zu ehren."

Die Winzerei existiert heute nicht mehr; Terry baut sich den Wein nur noch für eigene Zwecke an; der Stolz aber auf die Leistung seines Urgroßvaters, der spricht aus jedem Satz; "sie waren arm, es war ein hartes Leben, aber sie haben sehr viel erreicht. Ich bewundere sie dafür", sagt er. 

Der Orginal-Brief seiner Ururgroßmutter bewahrt das Museum von Hermann auf.

  • Terry über
    Deutschland
  • Über seine
    Vorfahren
  • Über sein Interesse
    an Deutschland
  • Terry
    singt

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