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That's life

Neun Wochen, 63 Tage - 7000 Kilometer, jeder Tag ein Neuanfang; neues Hotel, neue Orte, neue Bekanntschaften - und mit ihnen verwandelt sich mein Auto zunehmend in eine fahrende Bibliothek, noch einen Monat mehr und ich muss übers Fenster zum Lenkrad klettern. Es begann in Pennsylvania mit einem Gesangsbuch als Geschenk, setzte sich fort in Ohio mit einem Ausbund (Liederbuch der Amischen), in Indiana gab es "The German Americans", in Illinois "Grace in the Past, Faith for the Future", in Wisconsin "Wisconsin - Travel Companion", in Minnesota "Germans in Minnesota", in North Dakota "Black Elk Speaks - Being the Life Story of a holy Man of the Oglala Sioux" - und in Nebraska "A commemoration of the Sesquicentennal of Hall County Nebraska";  andere haben Familie, ich fahre Bücher durch die Gegend; Reisen bildet - so muss es gemeint gewesen sein.

Nun also Nebraska, und als ich las, Ohio sei dagegen ein Paradies, suchte ich verzweifelt nach Gründen, meine Route zu verwerfen. Und auch in den Hotels begannen sie zunehmend, die Zimmer mit Ansichten von Venedig, San Francisco und Wäldern zu schmücken, und so besuchte ich, bevor ich über die Grenze fuhr, in aller Panik noch schnell den Loess Hills State Forest, ich war noch nicht bereit für neue Enttäuschungen. Am nächsten Morgen aber gab es keine Ausreden mehr. Ausgerüstet mit einer Familienpackung Chocolate Espresso Beans fuhr ich auf der Interstate durch Omaha - ohne anzuhalten, fuhr durch Fremont - ohne anzuhalten, ließ Geneva (!) links liegen, ließ York (!) rechts liegen, fuhr nach Grand Island, bog auf den Highway 2 Richtung Ravenna ab  - und es kam wie es immer kommt; alle mühsam eingesammelten Vorurteile entpuppten sich als - wertlos. Statt in der Ödnis fand ich mich in den wunderbaren Sandlands wieder, der Wind der vergangenen Tage legte sich für einen Augenblick, der Himmel brach auf, und als ich dann noch auf Nona mit ihrem erfrischenden Lachen traf (siehe auch Kurz-Porträt), war das Leben wieder in Ordnung. "Triffst du eine falsche Entscheidung, ist das nicht das Ende der Welt", erklärte sie mehr. "Das ist nur das Leben."
That's life. So schön. 

Nebraska

Nebraska ist - oder besser war ein klassischer Heimstättensiedler-Staat; ein Gesetz erlaubte es jedem Erwachsenen, sich auf einem bis dahin unbesiedelten Stück Land niederzulassen und etwa 64 Hektar zu bewirtschaften, und viele deutsche Einwanderer machten von dem Angebot Gebrauch.

Und das erklärt vielleicht auch, warum die Menschen zu Hunderten, zu Tausenden so liebliche Gegenden wie Pennsylvania und Ohio hinter sich ließen, um kurz vorm schönen Colorado zu stoppten und sich stattdessen in der Ebene niederzulassen. Und es war ja auch nicht so, dass da irgendetwas auf sie gewartet hätte außer Wind und Wetter.

Und weil es keine Bäume gab, bauten die Siedler Häuser aus getrocknetem Schlamm, und jeder darf sich vorstellen, wie groß das Vergnügen war, darin zu leben - bei Regen oder bei der Schneeschmelze.

Nebraska dürfte auch der einzige Staat sein, der einen von beachtlicher Größe handgezogenen Wald vorzuweisen hat, den Nebraska National Forest, auch so eine Pioniersarbeit. Kein Wunder also, dass sich die Menschen hier auf Schritt und Tritt in einem Kniefall vor der Leistung der Siedler üben - Pioneer Village etwa, located in Minden (!), und der Ort heißt ja nicht ohne Grund so.

Auch Grand Island weiß zur Besiedlung eine wunderbare Geschichte zu erzählen - wie nämlich 1857 eine Gruppe von 37 Siedlern, die meisten davon Deutsche, die meisten davon aus Holstein, aus Davonport in Iowa aufbrachen, um sich in The Middle of Nowhere niederzulassen, sie begründeten die Anfänge der Stadt. In Grand Island gibt es das auch das "Stuhr-Museum", eines der größten Freilandmuseen der USA, finanziert und benannt nach der deutschstämmigen Familie Stuhr. Namensgeber Leo Stuhr war zeitweise Landwirtschaftsminister des Staates.

Platte River

Nebraska ist nicht Montana, was "die Berge" bedeutet;  Nebraska steht für "flaches Wasser". Die Indianer meinten damit den "Platte River", Nebraskas Fluss, der zwar eine eindrucksvolle Breite von einigen Meilen erreichen kann; im Gegenzug aber ist er so flach, dass er sich die eine oder andere Gehässigkeit gefallen lassen muss - dass man ihn etwa ohne Probleme mit einem Rollstuhl durchqueren kann oder dass das Ertrinken ausgeschlossen ist. Dafür aber hat der Staat die "Sandhills" zu bieten, eine Art Sanddüne, die sich in etwa in der Mitte über die Mitte des Landes streckt. Und ganz im Westen findet sich in Scottssbluff das Natioanl Monument, ein Mini-Badland. 

Kurz-Porträt I

Die Lebensexpertin

Sie sagt, es gebe keine Zukunft ohne Vergangenheit. Sie sagt, wer die Vergangenheit nicht versteht, verstehe die eigene Geschichte nicht.

Nona Wiese steht im Museum von Scribner - einem erbsengroßen Ort nahe Omaha im äußersten Osten von Nebraska, und sie erklärt, warum es ihr so wichtig ist, das Ortsmuseum zu erhalten und warum sie sich als eine der Letzten dafür engagiert. Vieles in Scribner gebe es schon längst nicht mehr, sagt sie; die Stadt stirbt, der Menschen ziehen weg, es gibt keine Arbeit,  von den einst 1000 Einwohnern sind nur noch wenige Hundert übrig, die Ortskapelle hat aufgehört zu spielen, kein Kino, kein Festsaal, die meisten Geschäfte stehen leer.  Und dabei hatte es einst so vielversprechend  begonnen, damals vor nicht ganz 150 Jahren; als erst die Engländer in die Ebene kamen, mit ihr die Railroad, mit ihr Deutschen - und auch wenn das Leben kein leichtes war; die Menschen sahen darin eine Chance.

Auch Nonas Familie gehörte zu den Pionieren; ihre Urgroßeltern waren einst aus Oldenburg ausgewandert - und auch wenn Nona nicht so viel weiß wie sie gerne wüsste, die Geschichte war ihr immer wichtig. Und so verbringt sie Tage, Stunden und Wochen in der Museum-Halle, sie archiviert, sie sortiert, hier die Bücher, dort das alte Porzellan; es ist kalt, der Staub tanzt im Licht - und über allem liegt Vergangenheit.

Zwei Mal ist Nona in Deutschland gewesen; im Süden, im Norden - die Reisen wurden für sie eine Offenbarung. Sie lernte, dass nichts ohne Grund geschieht, sie lernte, dass sie eine eigene Geschichte hat; und dann erzählt sie, wie sie in Oldenburg ein Erntedankfest besuchte, die Wagen waren mit Blumen und Äpfeln geschmückt - "und plötzlich ergab alles einen Sinn. Jetzt wusste ich, woher unsere Familie den Brauch hat."  An der Wand im Museum hängt noch immer der Artikel aus der Lokalzeitung über das Erntefest - er ist jetzt knapp 40 Jahre alt.

Es gibt keine Zukunft ohne Vergangenheit, sagt sie. "Wer beides nicht pflegt, gibt sich auf."

  • Nona über die Vergangenheit
  • Nona über
    ihre Wurzeln
  • Nona über das Heimweh der Siedler
  • Nona über
    ihre Großeltern

Kurz-Porträt II

Die Autorin

Ihr erstes Buch: "Marching with the First Nebraska" -  die Tagebuchaufzeichnungen eines jungen Deutschen, der 1857 seinen Träumen folgend nach Amerika emigriert, sich dann in Missouri im Bürgerkrieg wiederfindet, kämpfend, leidend, am Ende dem Schlimmsten zwar knapp entronnen, für den Rest seines Leben aber gezeichnet.

Sein Name: August Scherneckau; Neffe einer jener Siedler aus Schleswg-Holstein, die Grand Island aus der Mitte der Prärie hoben und so zum Symbol für den Pioniergedanken machten. Edith Robbins ist in das Leben des jungen Mannes aus Kiel eingetaucht, sie begleitet ihn durch die Kriegsjahre, sie fühlt sich in seine Sorgen, in seine Nöte, und an manchen Stellen erkennt sie ihr eigenes Leben.

Auch sie ein Flüchtlingskind, ein Kriegskind; ausgebombt in Berlin, geflohen aus Berlin, nach Amerika kam sie Mitte der 1960er Jahre wegen ihrer Träume, wegen der Liebe blieb sie. Jetzt sitzt sie in ihrem Arbeitszimmer in einem hübschen Einfamilienhaus am Stadtrand von Grand Island; inzwischen verwitwet, Mutter von zwei Kindern, Großmutter, sie sagt: "Die Biographien wiederholen sich." 50 Jahre ist nun in den USA, in der Zwischenzeit ist sie zur gefragten Historikern, Autorin und Übersetzerin avanciert; Schwerpunkt Siedlergeschichte und Bürgerkrieg. Begonnen hatte sie mit der Arbeit daran in ihren ersten Jahren  nach ihrer Ankunft in den USA, "ich dachte, es würde mir helfen, Wurzeln zu schlagen."  Die Probleme seien stets die selben, sagt sie; heute, damals, zu ihrer eigenen Zeit: "Man muss die Sprache lernen. Man muss sich ans Klima gewöhnen. Man ist einsam. Man sucht einen Weg, sich einzufinden."

Und so, wie der Siedler versuchten, sich mit dem zu arrangieren, was die neue Heimat ihnen vorgab, fügte sich auch Edith Robbins in ihre neue Welt, bis heute fällt es ihr nicht immer leicht: In den USA ist sie die Deutsche geblieben, in Deutschland die Amerikanerin; sie führt lebt das Leben einer Außenseiterin, die Arbeit an der Geschichte gibt ihr Halt.

  • Edith über Heimweh
  • Edith über Erinnerungen

Tipps

  • Wer dem Museum in Scribner einen Besuch abstatten möchte: Eine Webseite gibt s nicht, aber man sich gerne telefonisch melden und einen Termin vereinbaren: 439 Main St, Scribner, NE 68057, Telefon: (402) 664-3085
  • Wer dem Stuhr-Museum in Grand Island einen Besuch abstatten möchte, mehr Infos hier:
    http://www.stuhrmuseum.org
  • Wer mehr über die Sandhills - und überhaupt mehr über Nebraska wissen möchte: http://visitgrandisland.com/cranes-wildlife/sandhills/index.html

Momente