So fing es an, so endet es. Selbes Hotel, selbes Zimmer, New York als Skyline, und bei aller Freude auf Zuhause, es ist ein sonderbarer Moment. Ich bin müde, ich bin traurig, ich möchte mich in eine Ecke setzen und etwas weinen. Am Morgen noch war ich für ein Interview vor den Toren Washingtons gewesen, die Sonne stand rot über dem Potomac River, die Glas-Fassaden spiegelt bronzefarben, acht Stunden später stehe auf dem Gelände der Autovermietung und ringe dem Angestellten ein paar Worte des Bedauerns ab. Tatsächlich: 10 100 Kilometer; 12 Staaten, 12 Wochen liegen hinter mir, was für eine Reise, was für ein Abenteuer. So viele aufregende Momente, berauschende Landschaften, anregende Gespräche, und längst sind nicht alle Geschichten erzählt. Ich bin dem Leben zu Dankbarkeit verpflichtet.
Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Menschen immer wieder auf die Suche nach neuen Möglichkeiten begeben. Sie überwanden Tausende von Meilen, überstanden Wind und Wetter, sie wurden getrieben von Mut und Optimismus, und unter aufopfernder Stränge gegen sich selbst machten sie die Dinge möglich, von denen die USA heute noch profitiert, diese Pioniere legten das Fundament für ein erfolgreiches Amerika. Vergangenheit ist immer auch Gegenwart. Und Zukunft ist das, was man aus all dem macht.
Was nach meiner Reise bleibt? Das Wissen, dass mehr Dinge möglich sind als man glaubt. Dass es sich lohnt, Zweifel und Ängste zu überwinden. Dass Alleinreisen nicht Alleinsein bedeutet. Dass Heimat keinen Ort braucht, wenn das Gefühl stimmt.
Was ist deutsch? Für viele Protagonisten auf diesen Seiten war es "Old Country". Manchmal war es ein Stück Zuhause. Manchmal war es nur ein Bild aus einem Fotoalbum. Aber immer war es das Land, wo ihre Geschichte begann.
Reisen verschiebt den inneren Kompass und hebt den Blick.
In diesem Sinn: Heads up. Where is a whole world out where.
Letzte Station der Reise - Virginia; ein Schnettwittchen-Land mit Bergen, Kurven, sattes Grün als Kompass, dazwischen gepflegte Farmen und Wolken wie Wattebäusche. Nach den Wochen in der Ebene gleicht die Fahrt durch die üppige Landschaft einem Rausch. Vor den Häusern mähen die Männer auf haushohen Rasenmähern die Auffahrten, Weihnachtsdekorationen schmücken die Straßen, alles wirkt intakt und verglichen mit anderen anderen Staaten stattlich. Richmond ist Virginias Hauptstadt, im Norden liegt der Shenandoah National Park, was man auch mit 150 Kilometer Aussicht umschreiben könnte; und weil die Amerikaner es lieben, zu allem mit dem Auto vor zu fahren, gibt es dazu auch gleich die entsprechenden Haltebuchten. Der Vorteil: Wer im Auto sitzt, wandert nicht - und so hat man das Hinterland weitgehend für sich allein. Nach ähnlichem Konzept funktioniert der Blue Ridge Parkway; wieder alle Meilen ein Over Look für die Bequemen, der Rest erläuft sich seine Aussichten - wie etwa vom Peaks of Otter. In Virginia auch zu finden: The Booker T. Washington Monument, gewidmet einem ganz erstaunlichen Mann. Der einstige Sklave hatte sich allein Lesen und Schreiben beigebracht, später gründete er das Tuskegee Institut, das erste Collage für Schwarze. Von der Plantage ist leider nichts mehr erhalten, aber vielleicht ist das auch gut so. Stattdessen gibt es ein ganz wunderbares Museum mit ebenso wunderbar hilfsbereiten Mitarbeitern.
Mit Virginia begann es; in Jamestown wurden Anfang des 17. Jahrhunderts die ersten englischen Siedlungen gegründet - Americas Birthplace, wie es so schön heißt. Im Mai 1607 setzten die drei Schiffe Susan Constant, Discovery und Godspeed 104 englische Siedler auf Jamestown Island im James River ab. Innerhalb der ersten neun Monate starben 66 der Männer, einige erlagen Krankheiten, die meisten verhungerten, da sie die Neue Welt ausgerechnet während einer der schwersten Dürren erreicht hatten, unter denen die Region im 17. Jahrhundert litt.
Die ersten Deutschen landeten 1608 in Jamestown; sie kamen mit den Schiffen Mary und Margaret, das Kommando hatte Kapitän Christopher Newport, der im Vorjahr auch als Kapitän der historischen Reise nach Jamestown gedient hatte. Bei den Deutschen soll es sich um fünf Glasbläser und drei Tischler gehandelt haben; sie waren von der Virginia Company of London angeworben und ermutigt worden, eine Residenz in der Neuen Welt zu etablieren. Um 1620 rückten deutsche Sägewerker nach, sie zogen weiter landeinwärts entlang des James River, weil sie schnell fließende Gewässer brauchten, um die Räder der Sägewerke anzutreiben. Allerdings: Innerhalb von sieben Monaten starb der größte Teil der Gruppe, der letzte einsam Überlebende segelte zurück nach Europa.
In Yorktown, Virginia, fand die letzte und entscheidende Schlacht des Unabhängigkeitskrieges statt, die als The German Battle gilt. In jenem Septemer/Oktober 1781 kämpften die amerikanischen Rebellen schon seit sechs Jahren gegen ihre britischen Kolonialherren, und in Yorktown nun fand die Geschichte ihren Höhepunkt. Amerikanische und französische Truppen schlugen die britischen Rotröcke. Die Niederlage führte dazu, dass die Briten ihren Kolonien in Nordamerika die Unabhängigkeit gewährten. In Yorktown kämpften damals auf beiden Seiten viele deutsche Söldner und Einwanderer.
Bis heute ehren die Amerikaner jedes Jahr im September mit Paraden den preußischen Offizier Friedrich Wilhelm von Steuben, der als amerikanischer General im Unabhängigkeitskrieg die Rebellenarmee kommandierte. Wenn man so will, begann die deutsch-amerikanische Freundschaft lange bevor es Deutschland oder die Vereinigten Staaten von Amerika überhaupt gab. Daran sollte man sich dieser Tage vielleicht immer mal erinnern.
John M. Coski ist Buchautor und Experte auf dem Gebiet amerikanische Geschichte; einen Namen machte er sich mit seiner Veröffentlichung zum Thema "Flagge der Konföderierten Staaten", sein Buch "The Confederate Battle Flag: America's Most Embattled Emblem" war ein Bestseller. Der Zufall will ist, dass er aktuell an einem Aufsatz über die Rolle der Deutschen im Unabhängigkeitskrieg schreibt; er wertet dafür die Tagebücher und Briefe eines Mannes aus Württemberg aus, der vermutlich in Houston, Texas, lebte. Coski erhofft sich, wie er sagt, einen Einblick in das private Leben eines deutschen Soldaten. Er arbeitet im Museum of the Confederacy als Historiker, und die Briefe des Soldaten erhielt das Haus 2011.
Das alles hatte eine gewisse Logik. Ihr Interesse für die Geschichte. Ihre Arbeit. Am Ende fügt sich eben doch alles zusammen.
Rebecca Austin hat auf der Couch in ihrem Wohnzimmer Platz genommen, zu ihren Füßen "a large, friendly, very goofy dog", wie sie sagt, und hebt sie den Blick, kann sie über die Veranda ihrer Farm in Franklin County schauen; die Konturen des Peaks of Otter bilden die Kulisse, davor schmeichelt die hüglige Landschaft dem Auge. Sie ist ein paar Creeks entfernt aufgewachsen, wer sie besucht, passiert in Boones Mill die Mühle, erbaut und betrieben von einem ihrer Vorfahren. Während andere gerade Groß- und Urgroßvater benennen können, reicht ihr Stammbaum auf eine lange Historie zurück; sie beginnt Anfang des 18. Jahrhunderts im Rheinland, führt über Philadelphia nach Maryland nach Virginia, und ebenso lang ist das Engagement ihrer Familie in der Old German Baptist Brethren Church, einer Kirche, die ihre Ursprünge in Nordrhein-Westfalen hat und deren Anhänger im frühen Deutschland verfolgt wurden, in Amerika fanden sie eine neue Heimat.
Auch Rebecca und ihre vier Geschwister sind mit dem Glauben aufgewachsen, der den Amish gleich eine Kleiderordnung vorschreibt und der den Konsum von Musik und Fernsehen verbietet; weil sie sich jedoch nicht den Zwängen und Regeln unterwerfen wollte, entschied sie sich in jungen Jahren für den Austritt und ging ihre eigenen Wege. Nach den ersten Jahren des Suchens und der Familiengründung fand sie später eine Arbeit im "Blue Ridge Institute & Museum"; ein Freilichtmuseum, das das Leben der deutschen Farmer im 18. und 19. Jahrhundert nachzeichnet - und sie sagt, dass das alles kein Zufall ist. Deutschland zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Geschichte, die Vergangenheit holt sie immer wieder ein, und auf den Knien hat sie den großen Ordner mit der Familienhistorie liegen, der Stammbaum beginnt 1711.
Rebecca vertritt die inzwischen siebente Generation, und vielleicht wird ja tatsächlich eines Tages wahr, von dem sie sagt, dass sie es sich wünscht: Dorthin zu kehren, wo ihre Familie ihren Ursprung hat.
Er stammte aus Rahden in Deutschland, ging mit 15 Jahren nach Amerika, konnte kein englisch, hatte nicht viel in den Taschen; er schlug sich in den ersten Jahren mit ein paar Jobs durch - und als er schon glaubte, dass sich alles gegen ihn verschworen hätte, gelang ihm sein Coup: Er gründete in Virginia eine Brauerei, sie wurde die größte im Südosten Amerikas, sie wurde ein enormer Erfolg. Und während es für viele Jahre mit den Geschäften zum Besten stand, kam erst mit der Prohibition die Tivoli Brewery zum Erliegen.
Genau 100 Jahre nach dem Aus nun ist eine seiner Ururenkelinnen angetreten, das fortzusetzen, was Robert Portner aus Nordrhein-Westphalen einst ins Leben rief, sie sagt: "Ich sehe es als eine Verpflichtung."
Catherine Portner ist in Alexandria vor den Türen Washingtons aufgewachsen, und während sie zunächst Biologie studierte, kam ihr zusammen mit ihrer Schwester die Idee, eine eigene Brauerei zu gründen. Und so tauchte sie ein in die Kunst des Brauens, sie reiste von Brauerei zu Brauerei, sie studierte Fachbegriffe, sie las die Biographie ihres Ururgroßvaters ein, sie hatte eine ungefähre Vorstellung davon, was sie wollte, und am Ende fügte sie alles zusammen. Vor wenigen Monaten eröffnete sie das Haus, und während sich ihr Ururgroßvater noch auf das Brauen beschränkte, ging sie einen Schritt weiter. An die Brauerei ist ein Restaurant angeschlossen, es gibt Schnitzel, und wer mag, isst zum Bier Bienenstich.
Catherine hat sich also viel vorgenommen, jetzt sitzt sie vor einem, höflich, freundlich; eine Frau in Bluse, die Haare gescheitelt, sie spricht in Sätzen ohne Pause und sieht einigermaßen müde aus. Seit der Eröffnung kommt sie kaum zum Schlafen, sie hat eine Siebentagewoche, morgens vor dem Sonnenaufgang ist sie auf den Beinen, und spät am Abend steht sie noch immer im Geschäft. Sie sei ihrem Ururgroßvater dankbar, sagt sie. Sie empfinde seine Geschichte als Geschenk, und sie hoffe, dass sie ihn nicht enttäusche.
Und wenn man sie nun fragt, was denn der größte Unterschied sei zwischen deutschem und amerikanischem Bier, antwortet sie diplomatisch: Das deutsche Bier habe seine Regeln. Das hat Vorteile. Mit dem amerikanischen Bier aber könne man mehr experimentieren. Insofern: "Alles zu seiner Zeit."